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16.12.23

Aus den magnetischen Feldern

 


“Das unermessliche Lächeln der ganzen Erde hat uns nicht genügt: wir brauchen noch größere Wüsten, Städte ohne Vororte und tote Meere.”

– André Breton & Philippe Soupault

Ein Zitat aus Les Champs magnétiques der Surrealisten André Breton und Philippe Soupault, verfasst 1919 unter Anwendung der von den beiden Autoren erfundenen Methode des automatischen Schreibens. 

Das Zitat hat etwas annähernd Prophetisches – wenn Klimawandel und Umweltvernichtung fortschreiten wie bisher, bekommen wir wohl in absehbarer Zukunft das, was sich die Autoren da so beschwingt automatisch gewünscht haben.

Zitat übersetzt und Nachbemerkung von Johannes Beilharz.

Der oben abgebildete Buchdeckel ist der einer Neuveröffentlichung bei Poésie / Gallimard von 1971.

26.2.16

Oliverio Girondo, Städtische Erscheinung

Stieg er aus dem Untergrund auf?
Fiel er vom Himmel?
Er war umgeben von Lärm,
verwundet,
schwer verletzt,
unbeweglich,
schweigend,
in die Knie gegangen vor dem Abend,
vor dem Unausweichlichen,
die Adern haftend
am Grauen,
am Asphalt,
mit seinem gefallenen Scheitel,
mit seinen Heiligenaugen,
ganz, ganz nackt,
fast blau vor so viel Weiß.

Sie redeten von einem Pferd.
Ich glaube, es war ein Engel.

(Aparición urbana)

Aus dem Spanischen übersetzt von Johannes Beilharz. Das Original wurde 1942 in dem Gedichtband Persuasión de los días veröffentlicht.

Der Dichter Oliverio Girondo (1891 Buenos Aires – 1967 ebenda) gehörte, wie die meisten seiner großen argentinischen Zeitgenossen, in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts zum Kreis um die literarische Zeitschrift Martín Fierro – u.a. erschien dort sein surrealistisches Manifest – und blieb unter ihnen den Idealen der argentinischen Avantgarde am meisten treu. Seine Dichtung, die sich durch gewagte Tropen, seltsame Rhythmen, Sprachspielereien, Humor und Ironie auszeichnet, wurde als Abenteuer der Sprache beschrieben. Im Alltäglichen sah er eine bewundernswerte und bescheidene Manifestation des Absurden.

Internationale Lyrik in deutscher Übersetzung

2.1.11

Die Uhr des Heiligen Panda

(Etwas aus dem Spanischen zur Erheiterung im neuen Jahr)

Die Uhr des Heiligen Panda

                       Sie geht nicht!

Arme Uhrmacherin, die du diese Uhr gebaut hast –

                    Was hast du nur mit dieser Uhr gemacht?

                          Ich denke an diese Uhr an den verschiedensten Orten

              an Uhrorten

                       die nicht gehen

– Justinián Belisar

aus dem Spanischen übersetzt von Johannes Beilharz (© 2011)

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El reloj del Santo Panda

                       ¡no anda!

Pobresita relojera que hiciste este reloj

                    ¿Qué has hecho con este reloj?

                          Sigo pensando en este reloj en lugares muy diversos

              En lugares de reloj

                       no andando

– Justinián Belisar (© 2002)

Anmerkung des Übersetzers
Über Justinián Belisar, den Autor dieses Gedichts, ist mir nichts bekannt, außer dass er aus Argentinien stammt. Er schickte mir 2002 per E-Mail mehrere Gedichte für mein Literaturforum mit der Bitte, sie dort zu veröffentlichen, reagierte danach aber auf keine meiner Mails.
In seinem ersten und einzigen Schreiben sagte er lediglich, dass er sich außerhalb des aktuellen Literaturbetriebs sieht, der ihn ankotzt, und dass er deshalb in seinem Heimatland regelmäßig nicht veröffentlicht wird.

10.12.07

Spitzköpfiges, gelbhaariges Rätsel von Georg Heym

Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch
Und schleppt seine gelben Haare nach,
Der Zauberer, der still in die Himmelszimmer steigt
In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad.

Alle Tiere unten im Wald und Gestrüpp
Liegen mit Häuptern sauber gekämmt,
Singend den Mond-Choral. Aber die Kinder
Knien in den Bettchen in weißem Hemd.

Meiner Seele unendliche See
Ebbet langsam in sanfter Flut.
Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus
Wie ein gläserner Luftballon.

– Georg Heym (1887-1912)

Dieses Gedicht des "Expressionisten" Heym, irgendwo zwischen Erde und Mond schwebend, mutet eher an wie ein Surrealismus-Vorläufer. Wenn da nicht die Seele wäre... (denn die Surrealisten hatten mit Seele nicht viel am Hut).