Showing posts with label Gedicht. Show all posts
Showing posts with label Gedicht. Show all posts

13.3.10

Federico García Lorca: Der Schrei

Zum Anlass der letzten Sonntag im Kunstmuseum Stuttgart besuchten Fotoausstellung mit Bildern von Gerda Taro (1910-1937) zum spanischen Bürgerkrieg eine Übertragung eines Gedichtes von García Lorca, der 1936 von den Faschisten ermordet wurde.

Der Schrei

Die Ellipse eines Schreis
läuft von Berg
zu Berg.

¡Ay!

Von den Olivenbäumen
aufsteigend ist sie ein schwarzer Regenbogen
auf der blauen Nacht.

¡Ay!

Wie ein Violabogen
lässt der Schrei
die großen Saiten des Windes schwingen.

¡Ay!

(Die in den Höhlen
halten ihre Lichter hinaus.)

– Federico García Lorca

Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz


El grito

La elipse de un grito,
va de monte
a monte.

Desde los olivos,
será un arco iris negro
sobre la noche azul.

¡Ay!

Como un arco de viola
el grito ha hecho vibrar
largas cuerdas del viento.

¡Ay!

(Las gentes de las cuevas
asoman sus velones.)

¡Ay!

Weitere Gedichte von Federico García Lorca

4.1.10

Hugo Ball: Mein Dämon

Mein Dämon

Mein Dämon hat keine Brüder und Schwestern.
Mein Dämon ist nicht von heute und gestern.
Als Gott, der Herr, die Welten machte,
Saß mein Dämon dabei im Grase und lachte,
Schnitt sich die Zehennägel entzwei
Und sah an der ganzen Welt vorbei.

Hugo Ball (1886-1927)

Irgendwie ließ mich dieses kleine Gedicht des Dadaisten Hugo Ball an die Hindu-Mythologie denken, in der auch Dämonen vorkommen, die es an Macht durchaus mit den Göttern aufnehmen können... 

Englische Übertragung / In English

Lyrik – Gedichte verschiedener Autoren

23.10.09

Ernst Stadler - Vom großen Traum

Herbstgang

Und strahlend unter goldnem Baldachin
um starre Wipfel funkelnd hingebreitet
und Kronen tragend gehn wir hin
und flüsternd gleitet
dein süßer Tritt gedämpft im bunten Laub.
Aus wilden schwanken lachenden Girlanden
rieselt's wie goldner Staub
und webt sich fließend ein in den Gewanden
und heftet wie Juwelen schwer
sich dir ins Haar und jagt vom Licht gehetzt
in grellen Wirbeln vor uns her
und sinkt aufstiebend in das wirre Meer
kräuselnder Blätter die vom Abendduft genetzt
wie goldgewirkte Teppiche sich spannen ...

Nun lischt im fernsten Feld der letzte Laut.
Vom Feuer leis umglüht ragen die Tannen.
Ein feiner dünner Nebel staut
und schlingt sich bäumend um zermürbte Reiser
und irgendwo zerfällt ein irres Rufen.

Und deiner Schleppe Goldsaum knistert leiser
und atmend steigen wir auf steilen Stufen.
Weit wächst das Land von Schatten feucht umballt.

Drohend aus Nebeln reckt sich Baum an Baum.
Und schwarz umfängt uns schon der große Wald.
Und dunkel trägt uns schon der große Traum.

– Ernst Stadler (1883-1914)

Wieder einmal Dank an Lyrikmail für dieses Gedicht.

5.8.09

Du bist mehr als ein Frühling

Der süße Flieder steht nur einmal im Jahr auf dem Baum,
Deine Brüste blühen mir jahraus, jahrein, du bist mehr als ein Frühling.

Meine Wünsche glänzten wie die Sprossen der Kastanie,
Du zogst sie alle an die Sonne, wir sitzen in einem Laubdach
Und lachen uns zu im satten Schatten.

Wie einen Baum, den der Blitz überfiel, hatte mich die Sehnsucht gezeichnet,
Jetzt wohnen deine Bienen bei mir, und meine Augen fließen über von deinem Honig.

– Max Dauthendey (1867-1918)

Aus: Die ewige Hochzeit. Liebeslieder (1905)

Wieder ein Gedicht, das mir von Lyrikmail in den Briefkasten flatterte. Eine englische Übersetzung ist hier zu lesen.

12.7.09

Dichterlesung / nahezu ein Haiku

Ein Tisch.
Ein Glas mit Wasser.
Ein Mann, sein Wort.

– Johannes Beilharz (© 2009)

So sieht trotz allen Multimediagehabes immer noch der Prototyp der Dichterlesung aus – mild belächelt, heiß geliebt, was auch immer.

Die Damen Dichterinnen mögen sich bitte nicht ausgeschlossen fühlen. Dem Autor ging es hauptsächlich um den Anklang an den uralten Werbespruch "Ein Mann, ein Wort, Batavia".

4.6.09

Zum Tode von Kamala Das

Die Maden

Bei Sonnenuntergang, am Flussufer, liebte Krischna
sie ein letztes Mal und ging ...

In jener Nacht fühlte sich Radha in ihres Mannes
Armen so tot, dass er fragte, Was fehlt dir,
Liebste? Stören dich meine Küsse? und sie sagte,
Nein, überhaupt nicht, dachte aber, Was macht
es schon dem Leichnam, wenn die Maden zwicken?

– Kamala Das

Übersetzung ins Deutsche von Johannes Beilharz (© 2009)

Veröffentlicht zum Tode der am 31. Mai 2009 verstorbenen Autorin – einer der bedeutendsten Dichterinnen Indiens.

Das englische Original ist hier zu lesen.

22.5.09

Dichtung und Mathematik

Mein Mathematikus

In der Tertia war's, in der Mathematikstunde,
Da ward mir aus deinem Professorenmunde
Der erste Hohn für mein Dichten verabreicht.
Ein Jugendeindruck, der bis ans Grab reicht.
Noch heute seh' ich bei jedem Gedichte
Dein mathematisches Professorengesichte
Mir über die Schulter grinsen und lachen:
Kann nicht rechnen und will Gedichte machen.

Gustav Falke (1853-1916)

Das Dichten hat Gustav Falke trotz dieses negativen Inputs (oder vielleicht gerade deshalb) wohl nicht gelassen – das ist die Hauptsache. Die Gaben sind eben unterschiedlich verteilt. Und das Dichten klappt in der Regel auch ohne Mathematik ganz gut.

Auf dieses Gedicht wurde ich aufmerksam gemacht durch Lyrikmail.

12.5.09

Die Möglichkeiten eines Maitags

Schirm oder no Schirm –
that is the question.

– Johannes Beilharz

(Copyright © 2009)

Notiz des Verfassers
Heute kam in der Lyrikmail ein zweizeiliges Gedicht von Adrian Kasnitz (nachzulesen hier), in dem es um die jasminigen und fliederigen Möglichkeiten des Mais ging. Ihnen stelle ich gegenüber die minutenaktuellen Möglichkeiten des heutigen Maitags.

28.3.09

Ein schillernder Tropfen

Ich bin ein Tropfen

Ich kam aus den Meeren, ich kam aus der Sonne, ich kam aus dem Wind,
Die alle mir Urväter und Mütter sind;
Aus fallenden Zeiten, aus ewiger Nacht ein lallendes Werde,
Ein schillernder Tropfen, ein hilfloses Kind,
Geworfen auf winzigen Fleck der Erde.
Ein Häuflein Jahre des Lebens,
Gefäß des Kummers und freudig flutenden Bebens,
Ein kreisendes Stündlein vor ewiger Zeit.
O halte, Weltanfang und -ende mich immer in Demut bereit,
Ich kam aus den Meeren, aus Sonne und Wind,
Und bin nur ein Kind.

Ist es nicht immer genug:
Daß dich ein herbstlich verblutender Baum,
Hintaumelnder Vogelflug,
Entzündeter Abendwolken Schaum,
Ein schluchzend einfältiglich Lied,
Das über engende Höfe flieht,
In gottvolle Armut und Nacktheit entrückt,
Unendlich beglückt!

– Gerrit Engelke (1890-1918)

27.2.09

Vom armen alten Grillparzer

Krankenbesuche

Eine Ähnlichkeit, die ich mit Christus habe:
Nur die Weiber kommen zu meinem Grabe.

– Franz Grillparzer (1791-1872)

Diese Zeilen flatterten mir neulich per Lyrikmail ins Postfach.

Darf man da eine starke Dosis Wehleidigkeit unterstellen? Hat er diesen Selbstvergleich mit Christus nun gern oder nicht? Vermutlich war's auch bis zum Grabe noch ein bisschen Weges, denn den Griffel konnte G. ja noch rühren. Oder er hat dieses Meisterwerk mit letztem Hauche diktiert – eben einem der besuchenden "Weiber".

Ich gesteh's offen: diesem Zweizeiler bringe ich nur Abneigung entgegen. Sowas überlebt doch allerhöchstens als historisches Beweismaterial (Hypochonder oder Megalomane?).

Außerdem: andere würden sich über Frauen am Krankenbett ganz besonders freuen. Dazu bedarf es nicht einmal der Ähnlichkeit mit Christus.

19.2.09

Theodor Fontane: Mein Leben

Mein Leben

Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich gehe dahin, als wie im Traum.

Wie Schatten huschen die Menschen hin.
Ein Schatten dazwischen ich selber bin.

Und im Herzen tiefste Müdigkeit -
Alles sagt mir: Es ist Zeit.

– Theodor Fontane (1819-1898)

Dieses Gedicht, vom Autor 1892, also im Alter von 73 Jahren, verfasst, scheint Ausdruck einer Lebensmüdigkeit, Vorgefühl des Todes zu sein, zu dessen Reich, dem Reich der Schatten, er sich bereits zugehörig fühlt. Trotzdem lebte er offensichtlich noch etliche Jahre weiter...

14.2.09

Paraphrase

wie talg und seife der frisch
– Karin Fellner

Wie Talg und Seife der Frisch
riecht es nach Dünger grün –
so balge und reife der Wisch –
um Duft sich zu bemühn.

Die Iris – schwarz – Giraffe
fährt zitternd die Lippen aus,
der Lyris Quarz der schlaffe –
oh fleh – er bleib zu Haus.

– Iself (© 2009)

Paraphrase eines Gedichts von Karin Fellner (gestern per Lyrikmail erhalten) und Anwendung einer soeben entwickelten Methode: man lese ein Gedicht fetzenartig, also oberflächlich und ohne Versuch, seinen etwaigen Inhalt oder seine Aussage zu verstehen, kopiere dann mit digitaler Technik ein paar Zeilen daraus und improvisiere auf dieser Basis. Dies scheint besonders gut zu funktionieren, wenn man von dem Ausgangsgedicht nicht besonders angetan ist, also ohnehin eher dazu neigen würde, es oberflächlich anzugehen, weil es einen auf Anhieb nicht anspricht. Dass dabei etwas Literarisches oder gar Sinnvolles herauskommt, ist weder unbedingt gewünscht noch garantiert.

3.2.09

Georg Trakl: An Mauern hin

An Mauern hin

Es geht ein alter Weg entlang
An wilden Gärten und einsamen Mauern.
Tausendjährige Eiben schauern
Im steigenden fallenden Windgesang.

Die Falter tanzen, als stürben sie bald,
Mein Blick trinkt weinend die Schatten und Lichter.
Ferne schweben Frauengesichter
Geisterhaft ins Blau gemalt.

Ein Lächeln zittert im Sonnenschein,
Indes ich langsam weiterschreite;
Unendliche Liebe gibt das Geleite.
Leise ergrünt das harte Gestein.

– Georg Trakl (1887-1914)

29.1.09

Georg Heym: Alle Landschaften haben ...


Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.

Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.

Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.

Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.

– Georg Heym (1887-1912)

18.1.09

Öffne unsere Flügel

Etwas öffnet unsere Flügel.
Etwas lässt Langeweile und Kränkung verschwinden.
Jemand füllt die Schale vor uns:
Wir kosten nur Heiliges.

– Rumi (1207-1273)

Übertragung von und Copyright © Johannes Beilharz

Englische Version | Über Rumi

20.12.08

Hugo Ball: Intermezzo

Intermezzo

Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.

Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.

Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer.
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat -
Streu ich der Worte verfängliche Saat.

– Hugo Ball (1886-1927)

16.11.08

Maria Luise Weissmann: Karneval des Unbeschwingten

Karneval des Unbeschwingten

Ach, ich war mir ganz entlaufen,
Tanzte fremd im fremden Land
Und sie wollten mich schon taufen:
Einer doch den Namen fand,

Der mich rief, wie sie mich nannten
Damals, einst, vor langer Zeit...
Und ich wußte: sie erkannten
Unter dem gemalten Kleid

Doch den Fremdling, der verblieben,
Nun sich selber unbekannt.
Sein verstoßnes Herz zu lieben
Stand er rot an einer Wand.

– Maria Luise Weissmann (1899-1929)

Ein suggestives und rätselhaftes Gedicht einer Autorin, von der ich anlässlich dieses Gedichts zum ersten Mal hörte. Weiteres bei wortblume.de.

17.10.08

Was krekkt da so durch's Reimgeflikke?

Der kekke Lachgekk koaxet / krekkt und quakkt /
Des Krippels Krükkenstokk krokkt / grakkelt / humpt und zakkt /
Des Gukkuks Gukken trotzt dem Frosch und auch die Krükke.
Was knikkt und knakkt noch mehr? kurtz hier mein Reimgeflikke.

– Johann Klaj (1616-1656)

Ein Reimgeflicke von Christian Morgensterns barockem Uronkel. Lag heute Morgen in der Lyrikmail. Es ist immer wieder erstaunlich, was Gregor Koall für seine täglichen Gedichtsendungen entdeckt.

14.10.08

Max Dauthendey: Vollmond

Vollmond

Gelbes Eis
Und grüne Nebel.

Kranke Kallablüten leuchten.
Von den bleichen Bechern rinnet
Goldnes Öl in sanften Strömen.

Warmer Moder,
Nackte Schädel.
Über weiße Marmorwüsten
Fliehen lautlos
Schwarze Schwäne.

– Max Dauthendey (1867-1918)

Schon eine eigenartige Vollmondstimmung, die Dauthendey da einfängt. Aber sehr bildhaft und durchaus plausibel.

28.9.08

Richard Dehmel: Die Schaukel

Die Schaukel

Auf meiner Schaukel in die Höh,
was kann es Schöneres geben!
So hoch, so weit! Die ganze Chaussee
und alle Häuser schweben.

Weit über die Gärten hoch, juchhee,
ich lasse mich fliegen, fliegen;
und alles sieht man, Wald und See,
ganz anders stehn und liegen.

Hoch in die Höh! Wo ist mein Zeh?
Im Himmel! ich glaube, ich falle!
Das tut so tief, so süß dann weh,
und die Bäume verbeugen sich alle.

Und immer wieder in die Höh,
und der Himmel kommt immer näher;
und immer süßer tut es weh -
der Himmel wird immer höher.

– Richard Dehmel (1863-1920)

Eine sehr sinnennahe Beschreibung des Schaukelns – ich glaubte, ich säße selbst auf einer dieser altbewährten Konstruktionen aus Brett und Seil.