Die Erinnerungen
sind es müde geworden, mir zu folgen
DER WEG WAR SO LANG
Dieser Wind kam von etlichen Schwingen
Und die Tage vergehen heulend am Horizont
Als junger Kutter
Durchkreuzte ich viele Ungewitter
Bei Seemannsliedern
Alle Möwen
gaben mir Federn in die Hände
Hinter dem letzten Berg
stiegen die Monate hinab
Ein posthumer Gesang versperrte uns die Ausfahrt
– Vicente Huidobro (aus “Poemas árticos”, erste Veröffentlichung 1918)
Aus dem Spanischen übersetzt von Johannes Beilharz (© 2010)
Weitere Gedichte von Vicente Huidobro
A blog dedicated to literature in its multivarious forms and to other forms of art (visual, film, photography)
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17.10.10
3.10.10
Yannis Ritsos / Tischkalender
Monate und Monate, Wochen, Tage – unlernbares Jahr.
April mit kurzsichtiger Brille auf der Gartenbank.
Juli verbietet dir, allein zu schlafen.
September erinnert sich an verschlossene Häuser –
zwei Papierblumen und ein schwarzer Kamm mit groben Zähnen auf dem Tisch.
Im November hält ein Mann einen Stein auf dem Knie.
Januar, Februar – alle sind im Ausland.
Der Wind macht verzweifelte Gesten
vor der Glastür des geschlossenen Hotels.
Dann erscheint die stille Reinemachfrau frühmorgens
mit einem Schwamm, um die Fenster zu putzen.
– Yannis Ritsos (1909-1990)
Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz (© 2010)
[Titel des griechischen Originals: Επιτραπεζιο Ημερολγιο. Aus: Ritsos in Parenthesis, Princeton University Press 1979]
Nachbemerkung des Übersetzers
Wie kam ich dazu, heute dieses Gedicht zu übersetzen? Bei einem Gang durch die Wohnung fiel mir auf, wie verstaubt Ritsos in Parenthesis im Regal war, nahm das Buch mit, staubte es ab, schlug es planlos auf der Seite mit diesem Gedicht auf, las es und beschloss, es zu übersetzen. Es schien mir sehr gut zu dem heutigen goldenen Herbst-Sonntag zu passen.
April mit kurzsichtiger Brille auf der Gartenbank.
Juli verbietet dir, allein zu schlafen.
September erinnert sich an verschlossene Häuser –
zwei Papierblumen und ein schwarzer Kamm mit groben Zähnen auf dem Tisch.
Im November hält ein Mann einen Stein auf dem Knie.
Januar, Februar – alle sind im Ausland.
Der Wind macht verzweifelte Gesten
vor der Glastür des geschlossenen Hotels.
Dann erscheint die stille Reinemachfrau frühmorgens
mit einem Schwamm, um die Fenster zu putzen.
– Yannis Ritsos (1909-1990)
Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz (© 2010)
[Titel des griechischen Originals: Επιτραπεζιο Ημερολγιο. Aus: Ritsos in Parenthesis, Princeton University Press 1979]
Nachbemerkung des Übersetzers
Wie kam ich dazu, heute dieses Gedicht zu übersetzen? Bei einem Gang durch die Wohnung fiel mir auf, wie verstaubt Ritsos in Parenthesis im Regal war, nahm das Buch mit, staubte es ab, schlug es planlos auf der Seite mit diesem Gedicht auf, las es und beschloss, es zu übersetzen. Es schien mir sehr gut zu dem heutigen goldenen Herbst-Sonntag zu passen.
27.5.10
Nachtigall
Graue Melodie.
In dir singen Erde und Himmel
Und sind Frühling.
– Peter Hille (1854-1904)
Dieses Gedicht flatterte mir in der gestrigen Lyrikmail ins Postfach.
In dir singen Erde und Himmel
Und sind Frühling.
– Peter Hille (1854-1904)
Dieses Gedicht flatterte mir in der gestrigen Lyrikmail ins Postfach.
2.4.10
Ernst Stadler: Bahnhöfe
Bahnhöfe
Wenn in den Gewölben abendlich
die blauen Kugelschalen
Aufdämmern, glänzt ihr Licht in die Nacht hinüber
gleich dem Feuer von Signalen.
Wie Lichtoasen ruhen in der stählernen Hut
die geschwungenen Hallen
Und warten. Und dann sind sie
mit einem Mal von Abenteuer überfallen,
Und alle erzne Kraft
ist in ihren riesigen Leib verstaut,
Und der wilde Atem der Maschine, die wie ein Tier
auf der Flucht stille steht und um sich schaut,
Und es ist,
als ob sich das Schicksal vieler hundert Menschen
in ihr erzitterndes Bett ergossen hätte,
Und die Luft ist kriegerisch erfüllt
von den Balladen südlicher Meere
und grüner Küsten und der großen Städte.
Und dann zieht das Wunder weiter.
Und schon ist wieder Stille und Licht
wie ein Sternhimmel aufgegangen,
Aber noch lange halten die aufgeschreckten Wände,
wie Muscheln Meergetön, die verklingende Musik
eines wilden Abenteuers gefangen.
– Ernst Stadler (1883-1914)
Wenn in den Gewölben abendlich
die blauen Kugelschalen
Aufdämmern, glänzt ihr Licht in die Nacht hinüber
gleich dem Feuer von Signalen.
Wie Lichtoasen ruhen in der stählernen Hut
die geschwungenen Hallen
Und warten. Und dann sind sie
mit einem Mal von Abenteuer überfallen,
Und alle erzne Kraft
ist in ihren riesigen Leib verstaut,
Und der wilde Atem der Maschine, die wie ein Tier
auf der Flucht stille steht und um sich schaut,
Und es ist,
als ob sich das Schicksal vieler hundert Menschen
in ihr erzitterndes Bett ergossen hätte,
Und die Luft ist kriegerisch erfüllt
von den Balladen südlicher Meere
und grüner Küsten und der großen Städte.
Und dann zieht das Wunder weiter.
Und schon ist wieder Stille und Licht
wie ein Sternhimmel aufgegangen,
Aber noch lange halten die aufgeschreckten Wände,
wie Muscheln Meergetön, die verklingende Musik
eines wilden Abenteuers gefangen.
– Ernst Stadler (1883-1914)
31.3.10
13.3.10
Federico García Lorca: Der Schrei
Zum Anlass der letzten Sonntag im Kunstmuseum Stuttgart besuchten Fotoausstellung mit Bildern von Gerda Taro (1910-1937) zum spanischen Bürgerkrieg eine Übertragung eines Gedichtes von García Lorca, der 1936 von den Faschisten ermordet wurde.
Der Schrei
Die Ellipse eines Schreis
läuft von Berg
zu Berg.
¡Ay!
Von den Olivenbäumen
aufsteigend ist sie ein schwarzer Regenbogen
auf der blauen Nacht.
¡Ay!
Wie ein Violabogen
lässt der Schrei
die großen Saiten des Windes schwingen.
¡Ay!
(Die in den Höhlen
halten ihre Lichter hinaus.)
– Federico García Lorca
Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz
El grito
La elipse de un grito,
va de monte
a monte.
Desde los olivos,
será un arco iris negro
sobre la noche azul.
¡Ay!
Como un arco de viola
el grito ha hecho vibrar
largas cuerdas del viento.
¡Ay!
(Las gentes de las cuevas
asoman sus velones.)
¡Ay!
Weitere Gedichte von Federico García Lorca
Der Schrei
Die Ellipse eines Schreis
läuft von Berg
zu Berg.
¡Ay!
Von den Olivenbäumen
aufsteigend ist sie ein schwarzer Regenbogen
auf der blauen Nacht.
¡Ay!
Wie ein Violabogen
lässt der Schrei
die großen Saiten des Windes schwingen.
¡Ay!
(Die in den Höhlen
halten ihre Lichter hinaus.)
– Federico García Lorca
Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz
El grito
La elipse de un grito,
va de monte
a monte.
Desde los olivos,
será un arco iris negro
sobre la noche azul.
¡Ay!
Como un arco de viola
el grito ha hecho vibrar
largas cuerdas del viento.
¡Ay!
(Las gentes de las cuevas
asoman sus velones.)
¡Ay!
Weitere Gedichte von Federico García Lorca
4.1.10
Hugo Ball: Mein Dämon
Mein Dämon
Mein Dämon hat keine Brüder und Schwestern.
Mein Dämon ist nicht von heute und gestern.
Als Gott, der Herr, die Welten machte,
Saß mein Dämon dabei im Grase und lachte,
Schnitt sich die Zehennägel entzwei
Und sah an der ganzen Welt vorbei.
Hugo Ball (1886-1927)
Irgendwie ließ mich dieses kleine Gedicht des Dadaisten Hugo Ball an die Hindu-Mythologie denken, in der auch Dämonen vorkommen, die es an Macht durchaus mit den Göttern aufnehmen können...
Englische Übertragung / In English
Lyrik – Gedichte verschiedener Autoren
Mein Dämon hat keine Brüder und Schwestern.
Mein Dämon ist nicht von heute und gestern.
Als Gott, der Herr, die Welten machte,
Saß mein Dämon dabei im Grase und lachte,
Schnitt sich die Zehennägel entzwei
Und sah an der ganzen Welt vorbei.
Hugo Ball (1886-1927)
Irgendwie ließ mich dieses kleine Gedicht des Dadaisten Hugo Ball an die Hindu-Mythologie denken, in der auch Dämonen vorkommen, die es an Macht durchaus mit den Göttern aufnehmen können...
Englische Übertragung / In English
Lyrik – Gedichte verschiedener Autoren
23.10.09
Ernst Stadler - Vom großen Traum
Herbstgang
Und strahlend unter goldnem Baldachin
um starre Wipfel funkelnd hingebreitet
und Kronen tragend gehn wir hin
und flüsternd gleitet
dein süßer Tritt gedämpft im bunten Laub.
Aus wilden schwanken lachenden Girlanden
rieselt's wie goldner Staub
und webt sich fließend ein in den Gewanden
und heftet wie Juwelen schwer
sich dir ins Haar und jagt vom Licht gehetzt
in grellen Wirbeln vor uns her
und sinkt aufstiebend in das wirre Meer
kräuselnder Blätter die vom Abendduft genetzt
wie goldgewirkte Teppiche sich spannen ...
Nun lischt im fernsten Feld der letzte Laut.
Vom Feuer leis umglüht ragen die Tannen.
Ein feiner dünner Nebel staut
und schlingt sich bäumend um zermürbte Reiser
und irgendwo zerfällt ein irres Rufen.
Und deiner Schleppe Goldsaum knistert leiser
und atmend steigen wir auf steilen Stufen.
Weit wächst das Land von Schatten feucht umballt.
Drohend aus Nebeln reckt sich Baum an Baum.
Und schwarz umfängt uns schon der große Wald.
Und dunkel trägt uns schon der große Traum.
– Ernst Stadler (1883-1914)
Wieder einmal Dank an Lyrikmail für dieses Gedicht.
5.8.09
Du bist mehr als ein Frühling
Der süße Flieder steht nur einmal im Jahr auf dem Baum,
Deine Brüste blühen mir jahraus, jahrein, du bist mehr als ein Frühling.
Meine Wünsche glänzten wie die Sprossen der Kastanie,
Du zogst sie alle an die Sonne, wir sitzen in einem Laubdach
Und lachen uns zu im satten Schatten.
Wie einen Baum, den der Blitz überfiel, hatte mich die Sehnsucht gezeichnet,
Jetzt wohnen deine Bienen bei mir, und meine Augen fließen über von deinem Honig.
– Max Dauthendey (1867-1918)
Aus: Die ewige Hochzeit. Liebeslieder (1905)
Wieder ein Gedicht, das mir von Lyrikmail in den Briefkasten flatterte. Eine englische Übersetzung ist hier zu lesen.
Deine Brüste blühen mir jahraus, jahrein, du bist mehr als ein Frühling.
Meine Wünsche glänzten wie die Sprossen der Kastanie,
Du zogst sie alle an die Sonne, wir sitzen in einem Laubdach
Und lachen uns zu im satten Schatten.
Wie einen Baum, den der Blitz überfiel, hatte mich die Sehnsucht gezeichnet,
Jetzt wohnen deine Bienen bei mir, und meine Augen fließen über von deinem Honig.
– Max Dauthendey (1867-1918)
Aus: Die ewige Hochzeit. Liebeslieder (1905)
Wieder ein Gedicht, das mir von Lyrikmail in den Briefkasten flatterte. Eine englische Übersetzung ist hier zu lesen.
12.7.09
Dichterlesung / nahezu ein Haiku
Ein Tisch.
Ein Glas mit Wasser.
Ein Mann, sein Wort.
– Johannes Beilharz (© 2009)
So sieht trotz allen Multimediagehabes immer noch der Prototyp der Dichterlesung aus – mild belächelt, heiß geliebt, was auch immer.
Die Damen Dichterinnen mögen sich bitte nicht ausgeschlossen fühlen. Dem Autor ging es hauptsächlich um den Anklang an den uralten Werbespruch "Ein Mann, ein Wort, Batavia".
Ein Glas mit Wasser.
Ein Mann, sein Wort.
– Johannes Beilharz (© 2009)
So sieht trotz allen Multimediagehabes immer noch der Prototyp der Dichterlesung aus – mild belächelt, heiß geliebt, was auch immer.
Die Damen Dichterinnen mögen sich bitte nicht ausgeschlossen fühlen. Dem Autor ging es hauptsächlich um den Anklang an den uralten Werbespruch "Ein Mann, ein Wort, Batavia".
4.6.09
Zum Tode von Kamala Das
Die Maden
Bei Sonnenuntergang, am Flussufer, liebte Krischna
sie ein letztes Mal und ging ...
In jener Nacht fühlte sich Radha in ihres Mannes
Armen so tot, dass er fragte, Was fehlt dir,
Liebste? Stören dich meine Küsse? und sie sagte,
Nein, überhaupt nicht, dachte aber, Was macht
es schon dem Leichnam, wenn die Maden zwicken?
– Kamala Das
Übersetzung ins Deutsche von Johannes Beilharz (© 2009)
Veröffentlicht zum Tode der am 31. Mai 2009 verstorbenen Autorin – einer der bedeutendsten Dichterinnen Indiens.
Das englische Original ist hier zu lesen.
Bei Sonnenuntergang, am Flussufer, liebte Krischna
sie ein letztes Mal und ging ...
In jener Nacht fühlte sich Radha in ihres Mannes
Armen so tot, dass er fragte, Was fehlt dir,
Liebste? Stören dich meine Küsse? und sie sagte,
Nein, überhaupt nicht, dachte aber, Was macht
es schon dem Leichnam, wenn die Maden zwicken?
– Kamala Das
Übersetzung ins Deutsche von Johannes Beilharz (© 2009)
Veröffentlicht zum Tode der am 31. Mai 2009 verstorbenen Autorin – einer der bedeutendsten Dichterinnen Indiens.
Das englische Original ist hier zu lesen.
22.5.09
Dichtung und Mathematik
Mein Mathematikus
In der Tertia war's, in der Mathematikstunde,
Da ward mir aus deinem Professorenmunde
Der erste Hohn für mein Dichten verabreicht.
Ein Jugendeindruck, der bis ans Grab reicht.
Noch heute seh' ich bei jedem Gedichte
Dein mathematisches Professorengesichte
Mir über die Schulter grinsen und lachen:
Kann nicht rechnen und will Gedichte machen.
Gustav Falke (1853-1916)
Das Dichten hat Gustav Falke trotz dieses negativen Inputs (oder vielleicht gerade deshalb) wohl nicht gelassen – das ist die Hauptsache. Die Gaben sind eben unterschiedlich verteilt. Und das Dichten klappt in der Regel auch ohne Mathematik ganz gut.
Auf dieses Gedicht wurde ich aufmerksam gemacht durch Lyrikmail.
In der Tertia war's, in der Mathematikstunde,
Da ward mir aus deinem Professorenmunde
Der erste Hohn für mein Dichten verabreicht.
Ein Jugendeindruck, der bis ans Grab reicht.
Noch heute seh' ich bei jedem Gedichte
Dein mathematisches Professorengesichte
Mir über die Schulter grinsen und lachen:
Kann nicht rechnen und will Gedichte machen.
Gustav Falke (1853-1916)
Das Dichten hat Gustav Falke trotz dieses negativen Inputs (oder vielleicht gerade deshalb) wohl nicht gelassen – das ist die Hauptsache. Die Gaben sind eben unterschiedlich verteilt. Und das Dichten klappt in der Regel auch ohne Mathematik ganz gut.
Auf dieses Gedicht wurde ich aufmerksam gemacht durch Lyrikmail.
12.5.09
Die Möglichkeiten eines Maitags
Schirm oder no Schirm –
that is the question.
– Johannes Beilharz
(Copyright © 2009)
Notiz des Verfassers
Heute kam in der Lyrikmail ein zweizeiliges Gedicht von Adrian Kasnitz (nachzulesen hier), in dem es um die jasminigen und fliederigen Möglichkeiten des Mais ging. Ihnen stelle ich gegenüber die minutenaktuellen Möglichkeiten des heutigen Maitags.
that is the question.
– Johannes Beilharz
(Copyright © 2009)
Notiz des Verfassers
Heute kam in der Lyrikmail ein zweizeiliges Gedicht von Adrian Kasnitz (nachzulesen hier), in dem es um die jasminigen und fliederigen Möglichkeiten des Mais ging. Ihnen stelle ich gegenüber die minutenaktuellen Möglichkeiten des heutigen Maitags.
28.3.09
Ein schillernder Tropfen
Ich bin ein Tropfen
Ich kam aus den Meeren, ich kam aus der Sonne, ich kam aus dem Wind,
Die alle mir Urväter und Mütter sind;
Aus fallenden Zeiten, aus ewiger Nacht ein lallendes Werde,
Ein schillernder Tropfen, ein hilfloses Kind,
Geworfen auf winzigen Fleck der Erde.
Ein Häuflein Jahre des Lebens,
Gefäß des Kummers und freudig flutenden Bebens,
Ein kreisendes Stündlein vor ewiger Zeit.
O halte, Weltanfang und -ende mich immer in Demut bereit,
Ich kam aus den Meeren, aus Sonne und Wind,
Und bin nur ein Kind.
Ist es nicht immer genug:
Daß dich ein herbstlich verblutender Baum,
Hintaumelnder Vogelflug,
Entzündeter Abendwolken Schaum,
Ein schluchzend einfältiglich Lied,
Das über engende Höfe flieht,
In gottvolle Armut und Nacktheit entrückt,
Unendlich beglückt!
– Gerrit Engelke (1890-1918)
Ich kam aus den Meeren, ich kam aus der Sonne, ich kam aus dem Wind,
Die alle mir Urväter und Mütter sind;
Aus fallenden Zeiten, aus ewiger Nacht ein lallendes Werde,
Ein schillernder Tropfen, ein hilfloses Kind,
Geworfen auf winzigen Fleck der Erde.
Ein Häuflein Jahre des Lebens,
Gefäß des Kummers und freudig flutenden Bebens,
Ein kreisendes Stündlein vor ewiger Zeit.
O halte, Weltanfang und -ende mich immer in Demut bereit,
Ich kam aus den Meeren, aus Sonne und Wind,
Und bin nur ein Kind.
Ist es nicht immer genug:
Daß dich ein herbstlich verblutender Baum,
Hintaumelnder Vogelflug,
Entzündeter Abendwolken Schaum,
Ein schluchzend einfältiglich Lied,
Das über engende Höfe flieht,
In gottvolle Armut und Nacktheit entrückt,
Unendlich beglückt!
– Gerrit Engelke (1890-1918)
27.2.09
Vom armen alten Grillparzer
Krankenbesuche
Eine Ähnlichkeit, die ich mit Christus habe:
Nur die Weiber kommen zu meinem Grabe.
– Franz Grillparzer (1791-1872)
Diese Zeilen flatterten mir neulich per Lyrikmail ins Postfach.
Darf man da eine starke Dosis Wehleidigkeit unterstellen? Hat er diesen Selbstvergleich mit Christus nun gern oder nicht? Vermutlich war's auch bis zum Grabe noch ein bisschen Weges, denn den Griffel konnte G. ja noch rühren. Oder er hat dieses Meisterwerk mit letztem Hauche diktiert – eben einem der besuchenden "Weiber".
Ich gesteh's offen: diesem Zweizeiler bringe ich nur Abneigung entgegen. Sowas überlebt doch allerhöchstens als historisches Beweismaterial (Hypochonder oder Megalomane?).
Außerdem: andere würden sich über Frauen am Krankenbett ganz besonders freuen. Dazu bedarf es nicht einmal der Ähnlichkeit mit Christus.
Eine Ähnlichkeit, die ich mit Christus habe:
Nur die Weiber kommen zu meinem Grabe.
– Franz Grillparzer (1791-1872)
Diese Zeilen flatterten mir neulich per Lyrikmail ins Postfach.
Darf man da eine starke Dosis Wehleidigkeit unterstellen? Hat er diesen Selbstvergleich mit Christus nun gern oder nicht? Vermutlich war's auch bis zum Grabe noch ein bisschen Weges, denn den Griffel konnte G. ja noch rühren. Oder er hat dieses Meisterwerk mit letztem Hauche diktiert – eben einem der besuchenden "Weiber".
Ich gesteh's offen: diesem Zweizeiler bringe ich nur Abneigung entgegen. Sowas überlebt doch allerhöchstens als historisches Beweismaterial (Hypochonder oder Megalomane?).
Außerdem: andere würden sich über Frauen am Krankenbett ganz besonders freuen. Dazu bedarf es nicht einmal der Ähnlichkeit mit Christus.
19.2.09
Theodor Fontane: Mein Leben
Mein Leben
Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich gehe dahin, als wie im Traum.
Wie Schatten huschen die Menschen hin.
Ein Schatten dazwischen ich selber bin.
Und im Herzen tiefste Müdigkeit -
Alles sagt mir: Es ist Zeit.
– Theodor Fontane (1819-1898)
Dieses Gedicht, vom Autor 1892, also im Alter von 73 Jahren, verfasst, scheint Ausdruck einer Lebensmüdigkeit, Vorgefühl des Todes zu sein, zu dessen Reich, dem Reich der Schatten, er sich bereits zugehörig fühlt. Trotzdem lebte er offensichtlich noch etliche Jahre weiter...
Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich gehe dahin, als wie im Traum.
Wie Schatten huschen die Menschen hin.
Ein Schatten dazwischen ich selber bin.
Und im Herzen tiefste Müdigkeit -
Alles sagt mir: Es ist Zeit.
– Theodor Fontane (1819-1898)
Dieses Gedicht, vom Autor 1892, also im Alter von 73 Jahren, verfasst, scheint Ausdruck einer Lebensmüdigkeit, Vorgefühl des Todes zu sein, zu dessen Reich, dem Reich der Schatten, er sich bereits zugehörig fühlt. Trotzdem lebte er offensichtlich noch etliche Jahre weiter...
14.2.09
Paraphrase
wie talg und seife der frisch
– Karin Fellner
Wie Talg und Seife der Frisch
riecht es nach Dünger grün –
so balge und reife der Wisch –
um Duft sich zu bemühn.
Die Iris – schwarz – Giraffe
fährt zitternd die Lippen aus,
der Lyris Quarz der schlaffe –
oh fleh – er bleib zu Haus.
– Iself (© 2009)
Paraphrase eines Gedichts von Karin Fellner (gestern per Lyrikmail erhalten) und Anwendung einer soeben entwickelten Methode: man lese ein Gedicht fetzenartig, also oberflächlich und ohne Versuch, seinen etwaigen Inhalt oder seine Aussage zu verstehen, kopiere dann mit digitaler Technik ein paar Zeilen daraus und improvisiere auf dieser Basis. Dies scheint besonders gut zu funktionieren, wenn man von dem Ausgangsgedicht nicht besonders angetan ist, also ohnehin eher dazu neigen würde, es oberflächlich anzugehen, weil es einen auf Anhieb nicht anspricht. Dass dabei etwas Literarisches oder gar Sinnvolles herauskommt, ist weder unbedingt gewünscht noch garantiert.
– Karin Fellner
Wie Talg und Seife der Frisch
riecht es nach Dünger grün –
so balge und reife der Wisch –
um Duft sich zu bemühn.
Die Iris – schwarz – Giraffe
fährt zitternd die Lippen aus,
der Lyris Quarz der schlaffe –
oh fleh – er bleib zu Haus.
– Iself (© 2009)
Paraphrase eines Gedichts von Karin Fellner (gestern per Lyrikmail erhalten) und Anwendung einer soeben entwickelten Methode: man lese ein Gedicht fetzenartig, also oberflächlich und ohne Versuch, seinen etwaigen Inhalt oder seine Aussage zu verstehen, kopiere dann mit digitaler Technik ein paar Zeilen daraus und improvisiere auf dieser Basis. Dies scheint besonders gut zu funktionieren, wenn man von dem Ausgangsgedicht nicht besonders angetan ist, also ohnehin eher dazu neigen würde, es oberflächlich anzugehen, weil es einen auf Anhieb nicht anspricht. Dass dabei etwas Literarisches oder gar Sinnvolles herauskommt, ist weder unbedingt gewünscht noch garantiert.
3.2.09
Georg Trakl: An Mauern hin
An Mauern hin
Es geht ein alter Weg entlang
An wilden Gärten und einsamen Mauern.
Tausendjährige Eiben schauern
Im steigenden fallenden Windgesang.
Die Falter tanzen, als stürben sie bald,
Mein Blick trinkt weinend die Schatten und Lichter.
Ferne schweben Frauengesichter
Geisterhaft ins Blau gemalt.
Ein Lächeln zittert im Sonnenschein,
Indes ich langsam weiterschreite;
Unendliche Liebe gibt das Geleite.
Leise ergrünt das harte Gestein.
– Georg Trakl (1887-1914)
Es geht ein alter Weg entlang
An wilden Gärten und einsamen Mauern.
Tausendjährige Eiben schauern
Im steigenden fallenden Windgesang.
Die Falter tanzen, als stürben sie bald,
Mein Blick trinkt weinend die Schatten und Lichter.
Ferne schweben Frauengesichter
Geisterhaft ins Blau gemalt.
Ein Lächeln zittert im Sonnenschein,
Indes ich langsam weiterschreite;
Unendliche Liebe gibt das Geleite.
Leise ergrünt das harte Gestein.
– Georg Trakl (1887-1914)
29.1.09
Georg Heym: Alle Landschaften haben ...
Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.
Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.
Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.
Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.
– Georg Heym (1887-1912)
20.12.08
Hugo Ball: Intermezzo
Intermezzo
Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.
Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.
Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer.
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat -
Streu ich der Worte verfängliche Saat.
– Hugo Ball (1886-1927)
Ich bin der große Gaukler Vauvert.
In hundert Flammen lauf ich einher.
Ich knie vor den Altären aus Sand,
Violette Sterne trägt mein Gewand.
Aus meinem Mund geht die Zeit hervor,
Die Menschen umfaß ich mit Auge und Ohr.
Ich bin aus dem Abgrund der falsche Prophet,
Der hinter den Rädern der Sonne steht.
Aus dem Meere, beschworen von dunkler Trompete,
Flieg ich im Dunste der Lügengebete.
Das Tympanum schlag ich mit großem Schall.
Ich hüte die Leichen im Wasserfall.
Ich bin der Geheimnisse lächelnder Ketzer.
Ein Buchstabenkönig und Alleszerschwätzer.
Hysteria clemens hab ich besungen
In jeder Gestalt ihrer Ausschweifungen.
Ein Spötter, ein Dichter, ein Literat -
Streu ich der Worte verfängliche Saat.
– Hugo Ball (1886-1927)
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