15.5.23

Gedichte von Mark Strand, Samuel Noyola, James Schuyler und Louise Bogan

 

Die Neueinstellung der zuvor bei FixPoetry veröffentlichten Gedichtübersetzungen schreitet fort. 

Heute sind die Übersetzungen der Gedichte von Mark Strand (1934-2014, USA), Samuel Noyola (geb. 1965, Mexiko), James Schuyler und Louise Bogan (beide USA) hinzugekommen.

Sie sind auf der eigens erstellten Webseite zu lesen.

27.4.23

Das wird wieder ein Münchhausen-Gedicht!

 


Ich sag dir, das wird wieder ein Münchhausen-Gedicht!

Wieso denn das?

Weil es sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf hievt.

  

– Iself (© 2023)

  

Ist das nun ein echter Kalauer oder nicht?

16.3.23

Octavio Paz – Tanghi-Garu-Pass

 


Tanghi-Garu-Pass

Ein belastetes Land:
Der Winter hat es mit seinen Waffen gezeichnet,
Dornenkleid war der Frühling.

Berge von Glimmer. Schwarze Ziegen.
Unter den schlafwandlerischen Hufen
Schimmert missbilligend der Schiefer.

Feststehende Sonne, angenagelt
An die riesige steinerne Narbe.
Der Tod denkt uns.

– Octavio Paz

Titel des spanischen Originals: Paso de Tanghi-Garu. Aus: Octavio Paz, Ladera Este, 1969. Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz. Der Pass im Titel des Gedichts, auch Tang-e Ghārō geschrieben, befindet sich in Afghanistan an der Strecke von Dschalalabad nach Kabul.

Foto von Octavio Paz von Ricardo Salazar

9.2.23

Charles Bukowski – Sie schlug die Tür zu

Sie schlug die Tür zu und war weg. 
Ich schaute auf die geschlossene Tür
und auf den Türknauf, und seltsamerweise 
fühlte ich mich nicht allein.

– Charles Bukowski

Ins Deutsche übersetzt von Johannes Beilharz. Das amerikanische Original stammt aus Bukowskis Gedichtband You Get So Alone at Times That It Just Makes Sense (1986).

4.12.22

Bayerische Kartenspieler

Ein absurder Dialog

Nr. 1 (schnuppert): Hier stinkt’s.

Nr. 2 (schnuppert): Riecht nach Furz.

Nr. 3 (schnuppert): Ja, wirklich.

Nr. 1: Werden die Hunde sein.

Nr. 2 (sieht sich um): Sind keine da.

Nr. 3: Werden schon noch kommen.

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Ein alter bayerischer Witz, neu in Hochdeutsch gefasst.



29.8.22

A gardening poem

 


Having read
just now
that gardening poems
have a long tradition, 
here’s mine:

My wife’s thumb
is much greener
than mine, which
is why the gardening
is her doing alone

– Iself (© 2022)

Photo by Nils Stahl on Unsplash

7.7.22

Yannis Ritsos - Vielleicht, eines Tages

 


Yannis Ritsos

Vielleicht, eines Tages

Ich möchte dir diese rosa Wolken in der Nacht zeigen.
Du siehst aber nichts. Es ist Nacht – was kann man da schon sehen?

Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als mit deinen Augen zu sehen, sagte er,
damit ich nicht allein bin, damit du nicht allein bist. Und tatsächlich 
ist da nichts, da drüben, wo ich hinzeige.

Nur die Sterne drängen sich in der Nacht zusammen, müde, 
wie Leute, die im Lastwagen von einem Picknick zurückkommen, 
enttäuscht, hungrig, niemand singt, 
mit verwelkten Wildblumen in den verschwitzten Handflächen.

Aber ich werde darauf bestehen, zu sehen und dir zu zeigen, sagte er, 
denn wenn du nichts siehst, wird es so sein, als sähe auch ich nichts –  
ich werde wenigstens darauf bestehen, nicht mit deinen Augen zu sehen – 
und vielleicht werden wir eines Tages aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander treffen.

Titel des griechischen Originals: Ίσως μια μέρα. Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz (© 2022). 

Photo by Nacho Rochon on Unsplash

6.7.22

Aufgelesene Bücher

 


Aufgelesen in der öffentlichen Bücherkiste in Walddorfhäslach.

Über diese interessante Autorin des deutschen Expressionismus (1880-1945) ist leider nur wenig bekannt – nicht einmal ihr Todestag (behördlich festgelegt). Einige ihrer Novellen wurden zwischen 1911 und 1936 in der Zeitschrift Simplicissimus veröffentlicht.

Aufgelesene Bücher

 

  

Aufgelesen im Weggebe-Bücherkasten der Lyrikhandlung am Hölderlinturm in Tübingen. Über Anton G. Leitner

16.6.22

Die kürzeste je geschriebene Ode

 

– Iself (© 2022) 

Was der Autor nach dem Ersinnen dieser kürzesten Ode aller Zeiten notierte:

Fiel mir vor ein paar Minuten ein, als ich bei Federico García Lorca über irgendwelche Oden stolperte.

Ist mir eigentlich komplett egal, was eine Ode ist.

Jedenfalls sind die Chancen dieses Meisterwerks, jemand anzuöden (wie dies bei Oden öfter vorkommt), eher gering.

18.5.22

Gabriel Ferrater – Wenn ich kann

 


Wenn ich kann

Etwas ist in ein Gedicht 
eingetreten, von dem ich weiß, 
dass ich es schreiben muss, und 
ich weiß nicht, wann, wie oder was 
es ausdrücken wird. Wenn ich kann, 
werde ich es zu dir hinführen.
Lass es von deinem Haar sprechen 
oder der Sonnenflocke, 
die auf deinem Fingernagel tanzt.
Aber vielleicht wird mir nicht immer 
ganz in Erinnerung sein, wie ich dich jetzt sehe.
Ich habe den dunklen Klang 
von etwas gehört, das mir in einen 
Brunnen hineingefallen ist. Werde ich, wenn es 
aufsteigt, erkennen, dass es diesem Moment entstammt?

– Gabriel Ferrater

Titel des katalanischen Originals Si puc, erschienen in: Gabriel Ferrater, Mujeres y días / Edición bilingüe, Seix Barral, Barcelona, 1979.

Aus dem Katalanischen übersetzt von Johannes Beilharz anlässlich des 100. Geburtstag seines Autors am 22.5.2022. 

Copyright © der Übersetzung Johannes Beilharz 2022. Wiedergabe, Kopieren nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den Übersetzer.

Weitere Gedichte von Gabriel Ferrater in Übersetzung von Johannes Beilharz sind hier zu finden.



16.5.22

Squeaky Clean Herds – a Haiku

 

Matsuo Basho / James Schuyler

Matsuo Bashō / James Schuyler

  

A Madlib Haiku

In the pitiless sky
these squeaky clean herds
A dull armpit

by Bashō & Schuyler & Iself

Note

This haiku was written by Madlib based on input from James Schuyler – specific words from his poem The Dog Who Wants His Dinner (contained in The Crystal Lithium, published in 1972). Madlib appears to use words by haiku master Matsuo Bashō in generating its haiku. Ultimately, I myself can also claim some part of the authorship because I was the one who selected the Schuyler poem and the words to be used from it. How's that for collaboration across centuries and media?

6.4.22

Why constipation is the root of a lot of evil


Here’s an excerpt from a novel that tells you why.

SADHU
Oho. I thought he looked constipated the moment I saw him.

TRANSLATOR
What? What? You want me to tell him that?

SADHU
Why not? Tell him that’s probably why he’s impelled to invade other nations and massacre tribes and all of that – any student of yoga will tell you that mistreating the body leads to mental disaster. Yogic science has shown that people who hold it in are inescapably driven to behaviour like running about slashing at people, besieging towns, and frivolous acts of bravery.

TRANSLATOR
Now you’ve done it. He has those fits when he gets angry, see, he’s rolling about on the ground. Last time he did that he put a city of eighty thousand to the torch, no survivors.

SADHU
He’d be a lot better off if he shat more often. I wonder what his per week rate is.

TRANSLATOR
I’m not going to ask him, understand? He’ll kill you and all your friends and probably all the rest of Sindh too. I refuse on the grounds of conscience. It’s my job, but I refuse for the well-being of all the population of this country.

SADHU
There’s a yogic cure for constipation. Every morning, you take ...

TRANSLATOR
Shut up. Shut up. You’ve caused enough trouble for one day.

SADHU
You’d be remembered as the man who saved the world from Sikander the butcher. Get this fellow shitting right and he’ll probably go home, quiet as a lamb.

From the novel Red Earth & Pouring Rain (1995) by Vikram Chandra.

While this refers to an ancient personality (Alexander the Great), it could just as easily apply to another, more current megalomaniac who hails from Russia. The best for all of those who put cities to the torch would indeed be to go home.

2.4.22

Dmytro Chystiak – Lebendiges Land

Lebendiges Land

   

Für Anastassiya Kobzina und Ilia Solovyov, in memoriam


І

Mein Großvater starb ohne ein Wort über den Krieg.

Ohne ein Wort über den Krieg starb meine Großmutter.

Über Hunger und Arbeit an der Front

Ließen sie ein paar harte Worte fallen, mehr nicht.

Der 9. Mai war der größte ihrer Feiertage,

Ihre Lieder, ihre Tränen, ohne ein Wort über den Krieg.

“Ich werde nicht reden, mein Herr! 

Nie wieder, nie wieder. Wir werfen dich

Auf den Karren und dann ins Massengrab.”

Die Worte meiner Großmutter an ihrem Grab.


ІІ

In meinem Bücherregal, unter den Bombardements,

Die mit Orden bedeckte Uniform meines Großvaters,

Sein Dolch (17 Jahre alt, Schtscholkowo bei Moskau,

Dann die Nordsee, viele Tote

In diesem Land aus Eis, dann der Gesang,

Fußball, Kachowka und Kiew, die Liebe seines Lebens,

Die mich auch heute noch zum Lächeln bringt),

Die Medaillen meiner Großmutter, Tochter des Krieges

(Kindheit in der Kolchose, alles für die Front,

Und ein freundlicher Deutscher sagt “Versteck dich!”,

In der Region Winnyzja ein ganzer Winter,

Auf dem Dachboden versteckt sie sich, und die Ostarbeiter werden abgeholt.

Dann der Gesang, der Sozialismus und der Absturz

Und seine Recherchen über Stalins große Hungersnot),

Sie bleiben trotzdem zusammen, mit

Zwei Schwesterrepubliken, in den Bücherregalen,

Unter den Bombardierungen, explodieren dann.


ІІІ

Dieses Winterland ist lebendig, tief.

Kein Wort über den Krieg in ihrem gemeinsamen Grab.

Die Rakete weckt sie auf, wie sie es im Heiligtum von Babi Yar tat,

Und sie kommen aus der anderen Welt, aber ich weiß,

Sie sind nicht auf der anderen Seite, sie schließen sich

Uns an. Und meine Großmutter verharrt

Mit den Freiwilligen, und mein Großvater mit den Matrosen,

Auf unserer Seite, bei denen, die den Kosaken folgen,

Denen, die die Angst ignorieren und sich

Ungeschützt auf Panzer werfen, in der Steppe,

Wie zu den Zeiten der Hellenen, in diesem alten Land

Wo "Ruhm!" fällt, Donner auf Donner.


ІV

Dieses Winterland ist noch lebendig, so weit weg.

Mein Großvater aus Schtscholkowo kämpft,

Meine Großmutter aus Hajssyn bleibt standhaft,

Hinter ihnen der Widerhall von Dunkelheit über Dunkelheit,

Lichtern über Lichtern, Welten über Welten,

Blutig, auf den Kreuzen wachsen

Die Rosen des himmlischen Jerusalem,

Ihr Blut vereint Konstantinopel und Kiew,

Das Rubedo der wiederauferstandenen Städte,

Jahrhundert um Jahrhundert, Tempel um Tempel,

Um unseren gemeinsamen Baum zu gießen,

Auf einen Frühling hin, der endlich zu erkennen ist.


Verfasst am 7.3.2022 in Kiew


– Dmytro Chystiak


Aus einer vom Autor erhaltenen englischen Fassung mit seiner freundlichen Genehmigung ins Deutsche übersetzt von Johannes Beilharz.

22.1.22

Kabir – Verleumdung

 


Verleumdung

   

Verleumdung! Verleumdung! 

     Die Leute verspotten mich –  

die Leute lieben es wirklich

     zu verleumden und zu beflecken.

Verleumdung ist mein Vater,

     Verleumdung ist meine Mutter.


Wenn dein Name angeschwärzt wurde,

     gehst du nach Vaikuntha –  

die Bedeutung des wahren Namens

     wird sich in deinem Geist festsetzen.


Es gibt so viel Verleumdung,

     mein Herz ist geläutert –  

mein Verleumder

     schrubbt meine Kleider sauber.


Wer mich verleumdet

     ist mein Freund – 

mein Herz öffnet sich

     jedem Verleumder.


Wer aufhört, mich zu verunglimpfen,

     ist mein wahrer Kritiker – 

ein solcher Anprangerer

     macht mir das Leben zur Hölle.


Die Verleumdung ist

     meine innig Geliebte – 

Verunglimpfung bringt mich

     in ihre Schuld.


Jeder

     schleudert Schlamm auf Kabir – 

mein Verleumder ertrinkt,

     ich lande am anderen Ufer.


Kabir (1398-1448)

Aus: Kabir – The Weaver’s Songs, ins Englische übersetzt von Vinay Dharwadker (Penguin Books India, 2003). Deutsche Übersetzung von Johannes Beilharz (© 2022).

Kabir in satirischer Stimmung. Seine Antwort auf Verleumdung erinnert an Jesus’ subversiven Rat, die andere Wange hinzuhalten.