31.1.08

BIG BAD HAIKU

This is a BIG BAD haiku,
making mince meat
of its smaller siblings.

– Johannes Beilharz (© 2008)

26.1.08

Unvergängliches von Otto Julius Bierbaum

Ich ... war ... einmal

Oft weiß ich ganz genau: Ich ... war ... einmal;
Ich habe schon einmal all dies gesehn;
Der Baum vor meinem Fenster rauschte mir
Ganz so wie jetzt vor tausend Jahren schon;
All dieser Schmerz, all diese Lust ist nur
Ein Nochmals, Immerwieder, Spiegelung
Durch Raum und Zeit. - Wie sonderbar das ist:
Ein Fließen, Sinken, Untertauchen und
Ein neu Empor im gleichen Strome: Ich
Und immer wieder ich: Ich ... war ... einmal.

Otto Julius Bierbaum (1865-1910)

25.1.08

Das Perlhuhn


Das Perlhuhn

Das Perlhuhn zählt: eins, zwei, drei, vier ...
Was zählt es wohl, das gute Tier,
dort unter den dunklen Erlen?

Es zählt, von Wissensdrang gejückt,
(die es sowohl wie uns entzückt):
die Anzahl seiner Perlen.

– Christian Morgenstern (1871-1914)

Bedauernde Schlussbemerkung
Leider habe ich für dieses Gedicht kein Foto mit dunklen Erlen im Hintegrund finden können. Das wird mich wohl eine Weile jücken.

Eine englische Übersetzung befindet sich hier.

Gedichte und sonstige Werke von Christian Morgenstern sind in zahlreichen Ausgaben im Buchhandel und Online-Buchhandel, z.B. Amazon, erhältlich.

14.1.08

Tugend und Laster | zum 100. Todestag von Wilhelm Busch

Ach, ich fühl' es

Ach, ich fühl' es! Keine Tugend
Ist so recht nach meinem Sinn;
Stets befind' ich mich am wohlsten,
Wenn ich damit fertig bin.
Dahingegen so ein Laster,
Ja, das macht mir viel Pläsier;
Und ich hab' die hübschen Sachen
Lieber vor als hinter mir.

– Wilhelm Busch (15.4.1832-8.1.1908)

Die Werke von Wilhelm Busch sind erfreulicherweise im Buchhandel und Online-Buchhandel, z.B. Amazon, in verschiedenen Ausgaben erhältlich.

11.1.08

The state of the art in automatic translation

Wenn die Minni
im Bikini
in der Sonne sitzt
und der azurblaue Himmel niederblitzt,
dann stehn die Nachbarjungs am Zaun
und sehn: die Minni wird ganz braun

– Felix Morgenstern

Google's automatic translation of this ditty:

If the minni
in bikini
sitting in the sun
and the blue sky niederblitzt,
then stand on the nachbarjungs zaun
sehn and the Minni is quite brown

As anyone lightly conversant in German and English can tell, Google's translation skills are mostly distinguished by a great potential for improvement.

Is Babelfish any better? Here's its result:

If the Minni
in the bikini
sits in the sun
and the azure sky down-flashes,
then stehn neighbour-young at the fence
and long: the Minni becomes completely brown

OK, so Babelfish knows a few more German words than Google, but still:

Alleluia, us human translators won't run out of work if this is the state of the art in automatic translation...

10.1.08

Bruce Willis und eBay - Stirb langsam 4.0 auf Schwäbisch



Von Stirb langsam gibt es mittlerweile vier Auflagen, erhältlich z.B. bei Amazon. Und eBay gibt es - wo sonst? - bei eBay.

5.1.08

Emily Dickinson, Gedicht Nr. 479

Sie teilte hübsche Worte aus wie Klingen –
Wie sie doch glitzerten und funkelten –
Und jedes davon traf einen Nerv
Oder tändelte mit einem Knochen –

Nie hätte sie gedacht, sie könnte verletzen –
Das ist nicht Sache des Stahls –
Eine ordinäre Fratze im Fleisch –
Wie schlimm’s doch diese Kreaturen nehmen –

Der Schmerz ist menschlich, keine Höflichkeit –
Der Film auf dem Auge
Alter Brauch der Sterblichkeit –
Einfach das Schließen – hin zum Tode.

Ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz

Deutsche Übertragung von poem 479 von Emily Dickinson, Copyright © 2007 Johannes Beilharz.

Von und über Emily Dickinson gibt es auf Deutsch eine erstaunlich breite Auswahl von Werken. Siehe z.B. Amazon.

Emily Dickinson, poem 479

She dealt her pretty words like Blades —
How glittering they shone —
And every One unbared a Nerve
Or wantoned with a Bone —

She never deemed — she hurt —
That — is not Steel's Affair —
A vulgar grimace in the Flesh —
How ill the Creatures bear —

To Ache is human — not polite —
The Film upon the eye
Mortality's old Custom —
Just locking up — to Die.

30.12.07

Zum neuen Jahr 2008

Mit den besten Wünschen zu einem glücklichen 2008 und zur kommenden Zeit verbinde ich eine Übersetzung des Gedichtes "To England" von Richard Brautigan, das sich mit dem Phänomen der Zeit befasst – wenn auch eher in umgekehrter Richtung...

Nach England

Es gibt keine Briefmarken, die Briefe
vor dreihundert Jahren nach England zurückschicken,
keine Briefmarken, die Briefe zurückreisen lassen
zu der Zeit, als das Grab noch nicht gegraben ist,
als John Donne am Fenster steht und hinausschaut.
Es fängt gerade an zu regnen an diesem Aprilmorgen,
die Vögel fallen in die Bäume ein
wie Schachfiguren eines ungespielten Spiels,
und John Donne sieht, wie der Briefträger die Straße heraufkommt,
mit sehr vorsichtigen Schritten, da sein Stock
aus Glas ist.

– Richard Brautigan (ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz)

18.12.07

Begrenztes Königreich

Auch ich habe einen Misthaufen entdeckt,
von dem ich herunterkrähen kann.

– Felix Morgenstern (© 2007)

12.12.07

Über die Schwierigkeit, nach Celan in deutscher Sprache Gedichte zu schreiben

Es ist schwer, nach Paul Celan in deutscher Sprache Gedichte zu schreiben. Er hat die Moderne an ihr Ende geführt, und seine radikale Ästhetik, das Unsagbare doch noch einmal sagbar zu machen, lässt keine Weiterentwicklung zu.

– Helmut Böttiger (aus dem 2001 in Die Zeit erschienenen Artikel "Die Liebe, zwangsjackenschön")
Eine solche Aussage ist, normale Menschen mit Ausnahme von Literaturwissenschaftlern werden mir beistimmen, absoluter Schwachsinn.

Wie unschwer jeder für sich selbst feststellen kann, entstehen tagtäglich, völlig ohne Schwierigkeit, tausende Gedichte, und seien es nur neue Varianten von "Rosen sind rot, Veilchen sind blau", in irgendwelchen SMS, unter irgendwelche Brücken gesprüht, in einem Wust alljährlich erscheinender neuer Gedichtbände und Zeitschriften und im Internet.

Vielleicht werden es ja sogar die anspruchslosen Gedichte sein, die die Moderne an ihr Ende führen – an ein Ende allerdings, das sich nicht durch radikale Ästhetik, sondern durch einen radikalen Mangel an Ästhetik auszeichnet.

Das Unsagbare ist übrigens per Definition unsagbar; alles, was darüber gesagt werden kann, kann demzufolge allerhöchstens Annäherung sein, falls man ja tatsächlich das Unsagbare sagen wollen sollte (und nicht das Sagbare, was eigentlich verständlicher wäre). Selbst Celan konnte das Unsagbare nicht noch einmal sagbar machen, da es ja per Definition noch nie gesagt werden konnte.

Bestenfalls können wir also eine Weiterentwicklung der Annäherung an das Unsagbare (oder sollten wir sagen: das Unsägliche?) erwarten, und die ist per Handy, an Betonwänden, per Gedichtband im Groß- oder Kleinverlag oder im Internet in blühender Wucherung begriffen, ohne sich einen feuchten Dreck um Celan, die Moderne und ihr drohendes oder angeblich bereits erfolgtes Ende zu scheren.

11.12.07

Max Dauthendey / die Welt über Kopf

Im Grund deiner Augen

Im Grund deiner Augen steht meine Welt auf dem Kopf,
Dort lächle ich meinen Feinden zu und küsse dem Tod die Finger.

Klopfe an mit dem warmen Hammer in deiner Brust,
Es ist ein Schatz in meinem Meer. Täglich ging ich hinter dir her,

Sammelte deine Worte und deine Gebärde, zog Gold darum
Und versteckte sie unter roter Erde in einem roten Meer.

– Max Dauthendey

Aus Die ewige Hochzeit – Der brennende Kalender, 1905

Von Max Dauthendey ist im Buchhandel leider kaum etwas nicht Vergriffenes erhältlich. Das antiquarische Angebot ist jedoch erfreulich groß, siehe z.B. Amazon.

On being accused of sour grapes

"You don't need to be a cook to tell whether food tastes good or bad," said Iself to Hisself

10.12.07

Overlong morning haiku

A tingling headache
extending into
imaginary greenery
behind my head


– Iself (© one December morning in 2007)

Spitzköpfiges, gelbhaariges Rätsel von Georg Heym

Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch
Und schleppt seine gelben Haare nach,
Der Zauberer, der still in die Himmelszimmer steigt
In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad.

Alle Tiere unten im Wald und Gestrüpp
Liegen mit Häuptern sauber gekämmt,
Singend den Mond-Choral. Aber die Kinder
Knien in den Bettchen in weißem Hemd.

Meiner Seele unendliche See
Ebbet langsam in sanfter Flut.
Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus
Wie ein gläserner Luftballon.

– Georg Heym (1887-1912)

Dieses Gedicht des "Expressionisten" Heym, irgendwo zwischen Erde und Mond schwebend, mutet eher an wie ein Surrealismus-Vorläufer. Wenn da nicht die Seele wäre... (denn die Surrealisten hatten mit Seele nicht viel am Hut).