A blog dedicated to literature in its multivarious forms and to other forms of art (visual, film, photography)
19.9.17
17.9.17
Zum Tode von John Ashbery
Zu Ehren des am 3.9.2017 verstorbenen großen amerikanischen Dichters John Asbhery erschien im Feuilleton von Fixpoetry das Gedicht Five Pedantic Pieces in Übersetzung von Johannes Beilharz und Originaltext. Da es Fixpoetry inzwischen nicht mehr gibt, wird die Übersetzung hier wiedergegeben.
John Ashbery
Fünf pedantische Stücke
Eine Idee, die ich hatte und über die ich redete,
Wurde zu den Dingen, die ich tue.
Das Gedicht dieser Dinge nimmt sie auseinander,
Und ich zittere. Karger Winter, weniger verwundbar
Als der entleerte Sommer, die Nester der Worte.
Einige Stämme glauben, daß der Geist
Den abgeschnittenen Hand- und Zehennägeln innewohnt.
Sie sammeln ihre Toten eilig ein,
Bei Sonnenuntergang. Und dies wird
Einst ein vergessener Tag von vor drei Jahren sein:
Erstaunlicher Beweis für das Licht nach dem Tode.
Ein anderer Mensch. Die gelbe Backsteinmauer
Den ganzen Nachmittag über tiefer, stumpfer
Und eine Walzer singende Stimme, sentimentalen
Krimskrams fabrizierend -- Chaos, das er aushecken würde.
Und das kleine Hotel sah ordentlich aus
Und gut beleuchtet, im Dunkeln, auf dem flachen
Strand hinter den Brechern, steif, harmlos.
Und dich überrascht es, daß so etwas nicht sehr
Stabiles stehen bleibt, gefangen in unserem Mummenschanz.
Five Pedantic Pieces
(aus: John Ashbery, As We Know, 1979)
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Johannes Beilharz
15.5.17
Paul Eluard: Ich liebe dich
Ich liebe dich für alle Frauen, die ich nicht gekannt habe
Ich liebe dich für alle Zeiten, die ich nicht gelebt habe
Für den Geruch des weiten Meers und den Geruch des warmen Brots
Für den schmelzenden Schnee, für die ersten Blumen
Für die unschuldigen Tiere, die der Mensch nicht erschreckt
Ich liebe dich um zu lieben
Ich liebe dich für alle Frauen, die ich nicht liebe
Wer spiegelt mich besser als du, ich sehe mich so wenig
Ohne dich sehe ich nichts als eine wüste Weite
Zwischen einst und heute
Da sind alle diese Tode, die ich auf Stroh überwand
Ich konnte die Mauer meines Spiegels nicht durchbrechen
Ich musste das Leben Wort für Wort erlernen
Wie man vergisst
Ich liebe dich für die Klugheit, die nicht meine ist
Für die Gesundheit
Ich liebe dich gegen alles, was nur Illusion ist
Für dieses unsterbliche Herz, das nicht mir gehört
Du glaubst Zweifel zu sein und bist doch nur Vernunft
Du bist die große Sonne, die mir in den Kopf steigt
Wenn ich mir meiner sicher bin.
– Paul Eluard
(Übersetzung aus dem Französischen von Johannes Beilharz. Die Vorlage stammt aus Le phénix, 1951)
19.10.16
A near-miss haiku
only to find out, once I got there, that it was closed.
Well hell, I thought, that saved me some money
coz I’s about to buy me some clothes.
That’s what I call a close call
and less wear on the clothesline.
Written upon instigation by BlogFriday – seeking submissions for the word ‘closed.’ This haiku with its syllabic structure of 11 / 13 / 10 / 9 / 7 / 7 is not the only thing that’s a amiss here. Or a close call.
– Iself
Written in a not so sincere writing mood years ago and kept in drafts. Now it finally gets to see the bright lights of the web. Ooey!
18.10.16
Ken Smith, Paul Eluard, Joseph Campbell
Gedichtübersetzungen bei Cross Over im Feuilleton von FixPoetry.
Die Rubrik wurde herausgegeben und übersetzt von Johannes Beilharz.
Das hermetische Haiku
viermal verschlossen – Gefühl,
Gehör, Klang, Ort.
– Iself (© 2016)
Anmerkung
So ziemlich symptomatisch für das Schweigen dieses Blogs in den letzten Monaten.
4.7.16
Zu Ehren von Yves Bonnefoy
Das Gedicht Delphes du second jour in deutscher Übersetzung von Johannes Beilharz zu Ehren des am 1. Juli 2016 verstorbenen französischen Dichters Yves Bonnefoy erschien ursprünglich bei FixPoetry, das es inzwischen leider nicht mehr gibt..
Yves Bonnefoy
Delphi, zweiter Tag
Hier willigt die ängstliche Stimme ein,
Den
einfachen Stein zu lieben,
Die
Bodenplatten, die die Zeit unterwirft und erlöst,
Den
Olivenbaum, dessen Kraft den Geschmack trockenen Steins hat.
Die
Schritte an ihrem wahren Ort. Die ängstliche Stimme
Glücklich
unter den Felsen der Stille,
Und
das Unendliche, das unbestimmte Responsorium
Von
Kuhglocken, Ufer oder Tod. Kein Erschrecken
Vor
deinem hellen Abgrund, Delphi am zweiten Tag.
(Delphes du second jour)
Aus dem Französischen von Johannes Beilharz. Das Original stammt aus: Yves Bonnefoy, Hier régnant désert, 1959.
Zu Ehren von Yves Bonnefoy, geboren am 24. Juni 1923 und verstorben am 1. Juli 2016.
12.5.16
Ein Haiku von Hiroshi Taniuchi
vergessen, dann wird sie
das Jetzt.
– Hiroshi Taniuchi
(ins Deutsche übersetzt von Johannes Beilharz)
30.4.16
Begegnungen mit Autos mit sommerlich heruntergelassenen Fenstern und hochpotenten Lautsprecheranlagen
Drei Haiku
Stampf stampf stampf stampf stampf
stampf stampf stampf stampf stampf stampf stampf
stampf stampf stampf stampf stampf
Dumpf dumpf dumpf dumpf dumpf dumpf
dumpf dumpf dumpf dumpf dumpf dumpf dumpf
dumpf dumpf dumpf dumpf dumpf
Döns döns döns döns döns
döns döns döns döns döns döns döns
döns döns döns döns döns
– Iself (© 2016)
Die warme Jahreszeit hat begonnen, die Autofahrer teilen wieder ihr dumpfes Gestampfe und Gedöns mit dem Rest der Menschheit.
24.4.16
Ezra Pound, Harry Mathews, César Vallejo, Amy Newman
Gedichtübersetzungen, die 2016 bei Cross Over im Feuilleton von FixPoetry erschienen.
Die Rubrik wurde herausgegeben und übersetzt von Johannes Beilharz.
Neuerdings gelesene Gedichte und ihre Abhaken
Poetry bores me.✔ fängt mit aufgeblähten rhetorischen Fragen an – ein Nadelstich & sie zerplatzen
– Barbara Guest
✔ schon bei der ersten Zeile kommt heftiges Gähnen
✔ aufgewärmtes Gedanken- und Gefühlsgut von ca. 1 Million anderer Gedichte
✔ aktueller Modeartikel, schnoddrig-nihilistische Machart
✔ oh nein – über Liebe & Tod
✔ oh nein – über Mond & Sehnsucht
✔ oh nein – akademisches Geschwafel eingeleitet von prätenziösem Rilke-Zitat
✔ unnatürliche Beobachtungen so notwendig wie die Faust aufs Auge
✔ Schweigen in der Natur (wäre es doch beim Schweigen geblieben!)
✔ Foto einer Birke weitaus interessanter als das begleitende Gedicht über die von der Birke ausgelösten beglückten & unbeglückten Gefühle & Schwelgereien
✔ Supergähn nach zweieinhalb Zeilen – wie lang geht das noch? Über drei Seiten? Sprung zur letzten Zeile, die das unsägliche Wort unausgesprochen enthält – oder war’s das unausgesprochene Wort unsäglich?
✔ Was sich Delmore Schwartz vielleicht als Kind einmal gedacht haben könnte & die Dichterin mit viel Aufwand & Blabla aus sich herausgewürgt hat
✔ oh nein – über Wolken & das Hintreiben der Zeit
✔ da treibt es jemand arg mit weit hergeholten Adverb- und Adjektivkombinationen
✔ das will originell sein & weist darauf hin, dass der Dichter bisher kaum etwas gelesen hat
✔ Humor auf Kurzhaardackelfußniveau
✔ affektierte lyrische Atemlosigkeit ausgelöst durch das Gekritzel von Cy Twombley im Museum
✔ eindeutig celangehaucht, aber saccharinrosa
✔ schon beim Wordsworth-Zitat verließen sie mich
✔ ein spanisches Gedicht der Art mit vielen unnötigen Adjektiven, so à la gerundeter Kreis
✔ Haiku-ähnliches Ziehen von bereits tausendfach erlegten Schlüssen
– Iself
18.4.16
Ein Haiku von Hiroshi Taniuchi
Das Bedauern hat
an meine Tür geklopft – ein
Mal, das ist sicher
– Hiroshi Taniuchi
(deutsche Übersetzung von Johannes Beilharz mit freundlicher Genehmigung des Autors)
25.3.16
Kalauer
"Was hättest du denn lieber – das kleinere Übel oder das üblere Kleine?"
– Iself
Anmerkung
Die kleine Stadt Kalau, inzwischen aus gut verständlichen Gründen Calau geschrieben, wird ständig im Zusammenhang mit superklugen Hirnkonstrukten wie dem Voranstehenden zitiert.
23.3.16
Sammy’s less than perfect reputation
you've felt his hands – they're clammy.
Staying away from him makes triple sense
because he is also brutal and dense.
– Felix Morgenstern (© 2016)
Rhymed around clammy, brutal and dense from 3WW.
26.2.16
Oliverio Girondo, Städtische Erscheinung
Fiel er vom Himmel?
Er war umgeben von Lärm,
verwundet,
schwer verletzt,
unbeweglich,
schweigend,
in die Knie gegangen vor dem Abend,
vor dem Unausweichlichen,
die Adern haftend
am Grauen,
am Asphalt,
mit seinem gefallenen Scheitel,
mit seinen Heiligenaugen,
ganz, ganz nackt,
fast blau vor so viel Weiß.
Sie redeten von einem Pferd.
Ich glaube, es war ein Engel.
(Aparición urbana)
Aus dem Spanischen übersetzt von Johannes Beilharz. Das Original wurde 1942 in dem Gedichtband Persuasión de los días veröffentlicht.
Der Dichter Oliverio Girondo (1891 Buenos Aires – 1967 ebenda) gehörte, wie die meisten seiner großen argentinischen Zeitgenossen, in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts zum Kreis um die literarische Zeitschrift Martín Fierro – u.a. erschien dort sein surrealistisches Manifest – und blieb unter ihnen den Idealen der argentinischen Avantgarde am meisten treu. Seine Dichtung, die sich durch gewagte Tropen, seltsame Rhythmen, Sprachspielereien, Humor und Ironie auszeichnet, wurde als Abenteuer der Sprache beschrieben. Im Alltäglichen sah er eine bewundernswerte und bescheidene Manifestation des Absurden.
Internationale Lyrik in deutscher Übersetzung