A blog dedicated to literature in its multivarious forms and to other forms of art (visual, film, photography)
21.6.20
Paul Zech – Die Häuser haben Augen aufgetan...
17.6.20
365 Days – 2020 movie
15.6.20
Allen Ginsberg – An Lindsay
An Lindsay
Vachel, die Sterne sind rausgekommen
Dämmerung liegt auf der Straße in Colorado
ein Auto kriecht langsam über die Ebene
im gedämpften Licht plärrt Jazz aus dem Radio
der Verkäufer mit gebrochenem Herzen zündet sich eine weitere Zigarette an
In einer anderen Stadt vor 27 Jahren
sehe ich deinen Schatten an der Wand
du sitzt in Hosenträgern auf dem Bett
die Schattenhand hält dir eine Pistole an den Kopf
dein Schatten fällt um und zu Boden
Paris 1958
– Allen Ginsberg
Das Original To Lindsay stammt aus Kaddish and Other Poems 1958-1960, erschienen 1961 bei City Lights Books in San Francisco. Übertragen aus dem amerikanischen Englisch von Johannes Beilharz. Das Gedicht bezieht sich auf Vachel Lindsay (1873-1931), einen zu Lebzeiten recht bekannten amerikanischen Dichter.
12.6.20
Ernst Stadler – In the early morning
In the early morning
The silhouette of your body is dark in the morning in front of the dim lightOf the curtained blinds. Lying in bed, I feel your face turned towards me host-like.
When you unwound yourself from my arms, your whispered “I must go” only reached the farthest gates of my dream –
Now I see, as if through a veil, your hand, as it lightly brushes the white shirt down your breasts ...
The stockings ... now the skirt ... Your hair gathered ... you’ve become a stranger, adorned for the day and the world ...
I open the door quietly ... kiss you ... you nod, distant already, a farewell ... and you are gone.
I hear, already in bed again, your gentle steps fade away in the staircase,
The morning is getting brighter. The curtain billows. Young wind and first sun want to enter.
Noise rises ... Early morning music ... sung gently into morning dreams, I fall asleep.
– Ernst Stadler (1883-1914)
From: Der Aufbruch, 1914, published shortly before the author died in World War I. Translated by Johannes Beilharz. The German original can be found here.
Ernst Stadler – In der Frühe
In der Frühe
Die Silhouette deines Leibs steht in der Frühe dunkel vor dem trüben LichtDer zugehangnen Jalousien. Ich fühl, im Bette liegend, hostiengleich mir zugewendet dein Gesicht.
Da du aus meinen Armen dich gelöst, hat dein geflüstert »Ich muß fort« nur an die fernsten Tore meines Traums gereicht –
Nun seh ich, wie durch Schleier, deine Hand, wie sie mit leichtem Griff das weiße Hemd die Brüste niederstreicht ...
Die Strümpfe ... nun den Rock ... Das Haar gerafft ... schon bist du fremd, für Tag und Welt geschmückt ...
Ich öffne leis die Türe ... küsse dich ... du nickst, schon fern, ein Lebewohl ... und bist entrückt.
Ich höre, schon im Bette wieder, wie dein sachter Schritt im Treppenhaus verklingt,
Bin wieder im Geruche deines Körpers eingesperrt, der aus den Kissen strömend warm in meine Sinne dringt.
Morgen wird heller. Vorhang bläht sich. Junger Wind und erste Sonne will herein.
Lärmen quillt auf ... Musik der Frühe ... sanft in Morgenträume eingesungen schlaf ich ein.
– Ernst Stadler (1883-1914)
Quelle: Ernst Stadler, Der Aufbruch (1914)
Selbst heute noch oder wieder ist das schmale Werk von Ernst Stadler im Buchhandel erhältlich, z. B. bei Amazon.
10.6.20
Tel Aviv On Fire
Spielfilm von Sameh Zoabi (Israel, 2018) mit Kais Nashef (Salam), Lubna Azabal (Tala), Yaniv Biton (Assi) und Maisa Abd Elhadi (Mariam) in den Hauptrollen.
Israel/Palästina, Gegenwart. Salam, ein charmanter 30-jähriger Palästinenser, der in Jerusalem lebt, arbeitet als Praktikant an der beliebten palästinensischen Seifenoper Tel Aviv On Fire, die zur Zeit des Sechstagekrieges (1967) spielt und in Ramallah produziert wird. Um das Studio zu erreichen, muss Salam jeden Tag einen israelischen Kontrollpunkt passieren. Dort macht er die Bekanntschaft des Kommandanten des Kontrollpunktes, Assi, dessen Frau ein großer Fan der Seifenoper ist. Assi übt Druck auf Salam aus, damit dieser das Ende der Sendung ändert und Israel-freundlicher macht. Salam seinerseits profitiert von Assis Ideen und steigt durch sie zum Drehbuchautor auf. Seine kreative Karriere nimmt einen steilen Aufstieg. Allerdings haben der israelische Armee-Oberst Assi und die palästinensischen Produzenten und Finanziers der Seifenoper völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie sie enden soll. Salam sitzt zwischen den Stühlen, löst das Dilemma aber letztendlich mit einem überraschenden Coup, der das Fortbestehen der Seifenoper sichert. Eine gelungene und außergewöhnliche Komödie mit ernsthaftem Hintergrund.
Erhältlich bzw. anzusehen u.a. bei Amazon.
5.6.20
René Schickele – The boy in the garden
The boy in the garden
I want to put my bare hands togetherand make them sink hard
as evening falls, as if they were lovers.
May bells ring at dusk,
and white veils of scent descend upon us,
as we are close together, listening to our flowers.
Tulips shine through the last glow of the day,
lilac blossoms spring from the bushes,
a bright rose melts on the ground...
We're all fond of each other.
Outside, through the blue night, we hear the muted striking of the hours.
– René Schickele (1883-1940)
English translation by Johannes Beilharz (© 2020).
German original | Other poems by René Schickele in English
René Schickele – Der Knabe im Garten
Der Knabe im Garten
Ich will meine bloßen Hände aneinander legenund sie schwer versinken lassen,
da es Abend wird, als wären sie Geliebte.
Maiglocken läuten in der Dämmerung,
und weiße Düfteschleier senken sich auf uns,
die wir eng beieinander unsern Blumen lauschen.
Durch den letzten Glanz des Tages leuchten Tulpen,
die Syringen quellen aus den Büschen,
eine helle Rose schmilzt am Boden...
Wir alle sind einander gut.
Draußen durch die blaue Nacht hören wir gedämpft die Stunden schlagen.
– René Schickele (1883-1940)
Aus: Menschheitsdämmerung, ein Dokument des Expressionismus, neu herausgegeben von Kurt Pinthus (1959), erstmals erschienen 1920.
Erstaunlicherweise sind im Buchhandel zur Zeit etliche Werke Schickeles erhältlich, z.B. über Amazon.
3.6.20
Robert Creeley – Kiki
Kiki
World in aplastic octa-
gon from a
most perspica-
cious daughter.
❍❖❍❖❍❖❍❖
Kiki
Welt in einemPlastikokta-
gon von einer
höchst scharf-
sinnigen Tochter.
– Robert Creeley
Aus: Robert Creeley, A Day Book, 1972. Deutsche Übersetzung von Johannes Beilharz.
1.6.20
Luis Cuauhtémoc Berriozábal – Der Leichnam von César Vallejo
Der Leichnam von César Vallejo
Shine / Schein – ein weiteres Gedicht des Autors.
31.5.20
Summer of 1976 – house and cat sitting
In the summer of 1976, my parents went on vacation and left me at home to house sit and cat sit. I also had lots of time to write on the Triumph Gabriele. I'd sit on the sofa and type, and the cat would jump up and sleep behind me. Occasionally I'd also grab my father's Leica M3 and take pictures.
Im Sommer 1976 machten meine Eltern Ferien und überließen mir Haus und Katze. Ich hatte viel Zeit zum Schreiben auf der Triumph Gabriele. Ich setzte mich zum Tippen auf das Sofa. Oft sprang die Katze hoch und machte hinter meinem Rücken ein Nickerchen. Manchmal griff ich mir die Leica M3 meines Vaters und machte Fotos.
30.5.20
Franz Kafka – Cool and Hard
Cool and hard is the day today.
The clouds congeal.
The winds are tugging ropes.
People congeal.
The steps sound metallic
On ore stones,
And the eyes see
Wide white lakes.
In the old little town there are
Small bright Christmas houses,
Their colorful windows look out
Over the snow-blown square.
On the moonlit square
A man walks silently in the snow,
His great shadow blown up
The houses by the wind.
People who walk across dark bridges,
Past saints
With dim candles.
Clouds that drift across a grey sky
Past churches
With towers in twilight.
A man leans against the ashlar parapet
And looks into the evening water,
Hands on old stones.
29.5.20
Stefan George – I am the One
I am the One and am the Twain
I am the womb I am the sire
I am the blow and am the slain
I am the wood I am the fire
I am the seer I am the sight
I am the sheath and am the haft
I am the shadow and the right
I am the bow I am the shaft
I am the rich I am the needer
I am the semblance and the heart
I am the altar and the pleader
I am a finish and a start.
– Stefan George
Translated from the German by Carol North Valhope and Ernst Morwitz. From: Stefan George, Poems, Schocken Books, 1967 (originally published by Pantheon Books in 1943)
See the original in the preceding post.
Stefan George – Ich bin der Eine
Ich bin der Eine und bin Beide
Ich bin der zeuger bin der schooss
Ich bin der degen und die scheide
Ich bin der das opfer bin der stoss
Ich bin die sicht und bin der seher
Ich bin der bogen bin der bolz
Ich bin der altar und der fleher
Ich bin das feuer und das holz
Ich bin der reiche bin der bare
Ich bin das zeichen bin der sinn
Ich bin der schatten bin der wahre
Ich bin ein end und ein Beginn
– Stefan George
Aus: Der Stern des Bundes (1914)
27.5.20
Morning Digestion
Read Bukowski for breakfast,
including that one with the radio
he threw out the window every
time he got drunk, always breaking
the window. Then he added
something about watching a
scantily clad neighbor digging
in her garden patch just below.
I wondered if she happened to
show up, scantily clad, every
time Charles B. got drunk and
threw the radio out the window.
– Johannes Beilharz (© 2005)
Originally published at Poem Hunter.