30.12.07

Zum neuen Jahr 2008

Mit den besten Wünschen zu einem glücklichen 2008 und zur kommenden Zeit verbinde ich eine Übersetzung des Gedichtes "To England" von Richard Brautigan, das sich mit dem Phänomen der Zeit befasst – wenn auch eher in umgekehrter Richtung...

Nach England

Es gibt keine Briefmarken, die Briefe
vor dreihundert Jahren nach England zurückschicken,
keine Briefmarken, die Briefe zurückreisen lassen
zu der Zeit, als das Grab noch nicht gegraben ist,
als John Donne am Fenster steht und hinausschaut.
Es fängt gerade an zu regnen an diesem Aprilmorgen,
die Vögel fallen in die Bäume ein
wie Schachfiguren eines ungespielten Spiels,
und John Donne sieht, wie der Briefträger die Straße heraufkommt,
mit sehr vorsichtigen Schritten, da sein Stock
aus Glas ist.

– Richard Brautigan (ins Deutsche übertragen von Johannes Beilharz)

18.12.07

Begrenztes Königreich

Auch ich habe einen Misthaufen entdeckt,
von dem ich herunterkrähen kann.

– Felix Morgenstern (© 2007)

12.12.07

Über die Schwierigkeit, nach Celan in deutscher Sprache Gedichte zu schreiben

Es ist schwer, nach Paul Celan in deutscher Sprache Gedichte zu schreiben. Er hat die Moderne an ihr Ende geführt, und seine radikale Ästhetik, das Unsagbare doch noch einmal sagbar zu machen, lässt keine Weiterentwicklung zu.

– Helmut Böttiger (aus dem 2001 in Die Zeit erschienenen Artikel "Die Liebe, zwangsjackenschön")
Eine solche Aussage ist, normale Menschen mit Ausnahme von Literaturwissenschaftlern werden mir beistimmen, absoluter Schwachsinn.

Wie unschwer jeder für sich selbst feststellen kann, entstehen tagtäglich, völlig ohne Schwierigkeit, tausende Gedichte, und seien es nur neue Varianten von "Rosen sind rot, Veilchen sind blau", in irgendwelchen SMS, unter irgendwelche Brücken gesprüht, in einem Wust alljährlich erscheinender neuer Gedichtbände und Zeitschriften und im Internet.

Vielleicht werden es ja sogar die anspruchslosen Gedichte sein, die die Moderne an ihr Ende führen – an ein Ende allerdings, das sich nicht durch radikale Ästhetik, sondern durch einen radikalen Mangel an Ästhetik auszeichnet.

Das Unsagbare ist übrigens per Definition unsagbar; alles, was darüber gesagt werden kann, kann demzufolge allerhöchstens Annäherung sein, falls man ja tatsächlich das Unsagbare sagen wollen sollte (und nicht das Sagbare, was eigentlich verständlicher wäre). Selbst Celan konnte das Unsagbare nicht noch einmal sagbar machen, da es ja per Definition noch nie gesagt werden konnte.

Bestenfalls können wir also eine Weiterentwicklung der Annäherung an das Unsagbare (oder sollten wir sagen: das Unsägliche?) erwarten, und die ist per Handy, an Betonwänden, per Gedichtband im Groß- oder Kleinverlag oder im Internet in blühender Wucherung begriffen, ohne sich einen feuchten Dreck um Celan, die Moderne und ihr drohendes oder angeblich bereits erfolgtes Ende zu scheren.

11.12.07

Max Dauthendey / die Welt über Kopf

Im Grund deiner Augen

Im Grund deiner Augen steht meine Welt auf dem Kopf,
Dort lächle ich meinen Feinden zu und küsse dem Tod die Finger.

Klopfe an mit dem warmen Hammer in deiner Brust,
Es ist ein Schatz in meinem Meer. Täglich ging ich hinter dir her,

Sammelte deine Worte und deine Gebärde, zog Gold darum
Und versteckte sie unter roter Erde in einem roten Meer.

– Max Dauthendey

Aus Die ewige Hochzeit – Der brennende Kalender, 1905

Von Max Dauthendey ist im Buchhandel leider kaum etwas nicht Vergriffenes erhältlich. Das antiquarische Angebot ist jedoch erfreulich groß, siehe z.B. Amazon.

On being accused of sour grapes

"You don't need to be a cook to tell whether food tastes good or bad," said Iself to Hisself

10.12.07

Overlong morning haiku

A tingling headache
extending into
imaginary greenery
behind my head


– Iself (© one December morning in 2007)

Spitzköpfiges, gelbhaariges Rätsel von Georg Heym

Spitzköpfig kommt er über die Dächer hoch
Und schleppt seine gelben Haare nach,
Der Zauberer, der still in die Himmelszimmer steigt
In vieler Gestirne gewundenem Blumenpfad.

Alle Tiere unten im Wald und Gestrüpp
Liegen mit Häuptern sauber gekämmt,
Singend den Mond-Choral. Aber die Kinder
Knien in den Bettchen in weißem Hemd.

Meiner Seele unendliche See
Ebbet langsam in sanfter Flut.
Ganz grün bin ich innen. Ich schwinde hinaus
Wie ein gläserner Luftballon.

– Georg Heym (1887-1912)

Dieses Gedicht des "Expressionisten" Heym, irgendwo zwischen Erde und Mond schwebend, mutet eher an wie ein Surrealismus-Vorläufer. Wenn da nicht die Seele wäre... (denn die Surrealisten hatten mit Seele nicht viel am Hut).

26.11.07

Deftige Worte von Goethe

Rezensent

Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last;
Ich hatt just mein gewöhnlich Essen,
Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen,
Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt.
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu räsonieren:
»Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein.«
Der Tausendsakerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.

– Johann Wolfgang von Goethe

Anmerkung
Die letzte Zeile dieses Gedichts wird häufig zitiert. Ich hatte sie allerdings noch nie im Kontext des gesamten Gedichts gelesen. Tja, so sind sie manchmal, die Herren (Damen) Rezensenten.

16.11.07

Lohnt es sich, ein wenig lieb zu sein?

Und gleich wird die Frage von Joachim Ringelnatz - einmal in einer nicht satirischen Laune - beantwortet:

Es lohnt sich doch

Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein
Und alles auf das Einfachste zu schrauben,
Und es ist gar nicht Großmut zu verzeihn,
Daß andere ganz anders als wir glauben.

Und stimmte es, daß Leidenschaft Natur
Bedeutete im guten und im bösen,
Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur
Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen.

Joachim Ringelnatz (1883-1934)

14.11.07

Gilded gold, painted lily

After publishing a poem with gilded lilies, I wanted to find out what exactly the expression means and from whence it came.

Apparently from Shakespeare, who wrote in King John:

SALISBURY:
Therefore, to be possess'd with double pomp,
To guard a title that was rich before,
To gild refined gold, to paint the lily,
To throw a perfume on the violet,
To smooth the ice, or add another hue
Unto the rainbow, or with taper-light
To seek the beauteous eye of heaven to garnish,
Is wasteful and ridiculous excess.

Which means that the expression is actually an incorrect quote. It is the gold that is gilded, while the lily gets painted, both actions denoting superfluous adornment.

An annotated sailing poem

What shall we do with the sober sailor?
… so early in the morning?

He missed his boat oh no!

He’s been missing a number of boats
Truth be told

Like the rum boat*, the hum boat**,
the society boat***,
the boot boat**** and the new boat*****.

Thank God there’s the old boat

To which he is used
At least that

– "Sloop" John B. (© 2007)

* Otherwise there would be no complaining about sobriety
** Otherwise there would be song
*** Otherwise there would be company, including three marvelously gilded lilies most likely
**** Always good for a kick in the you know what
***** That is yet to emerge

23.10.07

Poetically offended

“The fact of my future death offends me,”
wrote poet & blogger Reginald Shepherd

Much worse: it will eventually kill him.

(More of Shepherd's musings can be read at reginaldshepherd.blogspot.com.)

25.9.07

Alfred Lichtenstein: Mädchen

Mädchen

Sie halten den Abend der Stuben nicht aus.
Sie schleichen in tiefe Sternstraßen hinaus.
Wie weich ist die Welt im Laternenwind!
Wie seltsam summend das Leben zerrinnt . . .

Sie laufen an Gärten und Häusern vorbei,
Als ob ganz fern ein Leuchten sei,
Und sehen jeden lüsternen Mann
Wie einen süßen Herrn Heiland an.

– Alfred Lichtenstein (1889-1915)

Ein eigenartiges Verhalten, das Lichtenstein da beobachtet. Machen das die Mädchen heutzutage auch noch so?

21.9.07

Norbert Stockhus: Malerei und Grafik in Bad Cannstatt

Norbert Stockhus: Graben 06 (Acryl auf Leinwand, 50 x 65 cm)

Ausstellung in der
Galerie Kunsthöfle

Foyer Amtsgericht
Badstraße 23
Stuttgart Bad-Cannstatt

Dauer der Ausstellung:
29.9. bis 5.11.2007
Öffnungszeiten:
Mo-Fr 8.00 bis 17.00 Uhr

Vernissage:
Freitag, 28.9.2007
um 19.30
Begrüßung: Irene Schmid
Einführung: HP Schlotter

Der Künstler ist anwesend

Sie und Ihre Freunde sind herzlich eingeladen

Über Norbert Stockhus

Gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart

18.9.07

Goethe & Schillers Schädel

Goethe fühlt sich, nach Ausgrabung von Schillers Schädel zwanzig Jahre nach dessen Tod, bewegt zu dichten

Oh hohe Stirn, edler Gedanken Hort,
oh tiefe Augenhöhlen, die ihr einst geschaut,
oh Kieferknochen, der du nur so kurz gekaut:
oh hohe Backenknochen und so fort,

euch hab ich heut aus diesem Grab gehoben:
der Geist verbleibt, der Körper ist zerstoben.

Johannes Beilharz (© 2003)

Anmerkung
Zu diesem Gedicht ließ ich mich 2003 hinreißen, als mir meine Tochter, die gerade zum Abitur “Kabale und Liebe” las, erzählte, dass Schiller, im Gegensatz zur geschönten öffentlichen Darstellung, nicht besonders gut aussah, und dass Goethe nach 20 Jahren den Schädel ausgraben ließ und ein Gedicht dazu machte.
Erinnert an diese Sache wurde ich neulich wieder durch einen Beitrag von Ursula Sautter im Time Magazine zum Thema: "Skull scratcher. Two centuries after a great German poet's death, a mystery over his remains is coming to a head".

4.9.07

Unter Buchen – ein Gedicht von Max Dauthendey

Im Buchenwald

Du gehst tief auf dem goldenen Grunde der Seen.
Lautlos steigen in Strahlen graue Korallen,
Fließen Phosphorfeuer von grünen Kristallen,
Sinken Perlen auf den braunwelken Grund.

Draußen von silbernen Sonnenufern
Neigen sich Glocken
Und locken mit blauen Kelchen
Die smaragdene Tiefe.

– Max Dauthendey (1867-1918)

Aus: Ultra-Violett (1893)

Diese kleine Perle deutscher Lyrik kam heute morgen mit der Lyrikmail. Als Bürger der Buchenwaldstadt Stuttgart fühlte ich mich natürlich sofort angesprochen.
Kann man den Buchenwald so erleben wie Dauthendey? Ich denke schon. Er hat ein visionäres Bild geschaffen, das den Buchenwald nicht beschreibt, sondern ihn durch eine erlebte magische Stimmung assoziativ wiedergibt.

28.8.07

Ulrike und das tröpfelnde Glas

Nahezu ein Poetron-Gedicht*

Übrige Schneen

Unter entbehrlicher Hose
saubere Körper und ein Rabe

Karierte Muskeln schmelzen so leis
Ulrike und das tröpfelnde Glas

– Poetron (Copyright 2007)

*Ein paar Wörter in den Poetron gefüttert, und fertig ist das Gedicht. Allerdings nicht immer grammatikalisch richtig. Die "Schneen" habe ich suggestiv stehen lassen.

Einladung an die Leserschaft:
Dieses wunderbare Werk darf gern interpretiert werden.

26.8.07

Der König von Bombarien

von Sukumar Ray

Bombarien, ein weit entlegenes asiatisches Reich,
ist wohlbekannt für manch eigenartigen Streich.
Dort beschenkt zum Beispiel der König die Damen
Mit Schokoladetafeln in güldenem Rahmen.
Die Königin, nur selten im Bette zu finden,
Lässt um den Hals das Kopfkissen sich binden.
Die Höflinge, so lautet mein Bericht,
Schlagen Räder wenn sie plaget die Gicht.
Des Königs Tantchen, ein alter Drachen,
Bringt mit dem Cricketschläger alle zum Lachen.
Ihr Gatte der Onkel tanzt allabendlich Salsa
Und trägt dazu bunte Girlanden aus Balsa.
Das alles, mag es auch seltsam anmuten,
Gehört in Bombarien zum Üblichen und Guten.

– Deutsche Übertragung von Johannes Beilharz

Übersetzt aus der englischen Fassung ("The King of Bombaria", siehe The Verse Marauder), die von Sukumar Rays Sohn, dem berühmtem Filmregisseur und Autor Satyajit Ray, stammt.

Sukumar Ray (1887-1923) ist der Lewis Carroll oder Christian Morgenstern der bengalischen Literatur.

24.8.07

Absturz in fernem Land mit Friederike Mayröcker

DU BIST EIN FERNES LAND
gern schrieb ich dir unter den Bäumen
du bist ein fernes Land
mit wem hast du dich geküszt?
du bist ein fernes Land
der Mond ist über den Bäumen
o mein geliebtes Land
die Tage werden still

– Friederike Mayröcker

(Im Internet gefunden bei Deutsche Liebeslyrik; die Wiedergabe ohne Nachfrage zum Zwecke dieser Glosse sei mir bitte verziehen.)

Bei dieser in unseren Landen seit langer Zeit vielerseits hochgeschätzten Dichterin habe ich mich schon einige Male (und bisher klammheimlich) gefragt, ob das gesamte Service im Kabinetterl vorhanden ist.

Assoziative Lyrik ist eine Sache, Zusammenreihungen poetischer Versatzstücke eine andere.

Die letzte Zeile des Gedichts schlägt alles. Nach diesem frühzeitigen Absturz verbleibt das Mayröckersche ferne Land so fern mir wie eh und je.

Aber vielleicht wurde ich ja nur noch nicht von der richtigen Muse geküszt.

Geküszt wurde Friederike Mayröcker von zahlreichen Buchveröffentlichungen aus allerbestem Hause, siehe z.B. Amazon.

9.8.07

Themenausstellung "Schaf" in Markgröningen


Themenausstellung
„Schaf“

Einladung zur Vernissage
So. 12. August 2007
11.30 Uhr
Wettegasse 7
Markgröningen

Ausstellende Künstler:
Wilhelm Schall
Anita Fried
Renate Hild
Margreet Huisman
Ulla Frenger
Margarete Steinmaier
Monika Wolf
Tille Beurer
Johannes Beilharz
Claus Staudt
Peter Hilsenbek

Musik an der Vernissage:
Uwe Sternberg, Gitarre

Galerie am Wettebrunnen
www.galerie-am-wettebrunnen.de
info@galerie-am-wettebrunnen.de
Telefon: 07145/9327993
Fax: 07145/900078

6.8.07

Semantic hotline experience

I called the agent with my problem, who told me I needed to talk to the editor. The editor told me that he was not the person in charge, and to please hold for the adaptationer. The adaptationer referred me to the arranger, who said to get in touch with the issuer, who passed me on to the originator. The originator transferred me to the processor, who was neither authorized nor willing to deal with my issue. By this time I had been on the phone for 1 hour and 55 minutes including the time I had been listening to upbeat muzak and please hold the line messages. Oh what to do!

Title explained
The synonyms this account toys with are the result of a leo.org search for the German term “Bearbeiter” – in other words, they are a semantic field.

Leonard Blumfeld

30.7.07

Weerth lässt Kirche und Gott vernichten

Herüber zog eine schwarze Nacht

Herüber zog eine schwarze Nacht.
Die Föhren rauschten im Sturme;
Es hat das Wetter wild zerkracht
Die Kirche mit ihrem Turme.

Zerschmettert das Kreuz; zerdrückt den Altar;
Zermalmt das Gebein in den Särgen -
Die gotischen Bögen wälzen sich
Donnernd hinab von den Bergen.

Zum Dorfe stürzt sich Turm und Chor
Als wie zu einem Grabe -
Da fährt entsetzt vom Lager empor
Und spricht zur Mutter der Knabe:

"Ach Mutter, mir träumte ein Traum so schwer,
Das hat den Schlaf mir verdorben.
Ach Mutter, mir träumte, soeben wär'
Der liebe Herr Gott gestorben."

– Georg Weerth (1822-1856)

Nachbemerkung
Hier, so könnte man sagen, wird das Kind gleich mit dem Bad ausgeschüttet ... wenn die Kirche zu Bruch geht, stirbt damit auch Gott, scheint uns Weerth sagen zu wollen. Allerdings kann man auch konstatieren, dass in der Menschheitsgeschichte schon viele Kirchen (sprich: Religionen) verschwunden sind, ohne dass dies dem Gottesgedanken Abbruch getan hätte.

25.7.07

Viel Geplauster um wen?

Bonnet

Wolken erheben sich nie bis zur Stirn dieses heiligen Greises,
Und in Aurorens Gestalt winkt ihm der lächelnde Tod.
So wie der Hirt auf den Alpen in sonniger Heitre den Donner
Hört aus umnachtetem Thal, hört er der Leidenschaft Sturm.

– Friedrich von Matthisson (1761-1831)

Jeder hat Lücken in seinem Wissen. Heute entdeckte ich mal wieder eine, indem ich beim Lesen dieses Gedichtes nicht einmal den Schimmer einer Ahnung hatte, auf wen es sich beziehen könnte.

Wen würde man heute noch als "heiligen Greis" bezeichnen? Selbst im 18./19. Jahrhundert, als das wohl noch eher üblich war, muss es sich um ein größeres Kaliber gehandelt haben.

Also in der Wikipedia unter "Bonnet" gesucht ... und vermutlich fündig geworden. Es dürfte sich um den Schweizer Naturwissenschaftler und Philosophen Charles Bonnet (1720-1793) handeln.

Über den Autor dieser Hommage steht, ebenfalls in der Wikipedia:
M. wurde von seinen Zeitgenossen, u. A. auch von Friedrich Schiller, hoch geschätzt, nach seinem Tode aber vergessen.
Ob allerdings das obige Gedicht, das heute als Lyrikmail anlangte, geeignet ist, diesen Dichter zu entstauben, wage ich zu bezweifeln. Leider macht selbst die liebliche Aurora aus diesem Thale der Vergangenheit mit seinen poetischen Gemeinplätzen keinen Ort, der zu weiteren Besuchen einlädt.

20.7.07

Lyrik-Bestseller

Klingt wie ein Paradox, gibt's aber anscheinend doch, wie ich heute beim Blogstöbern las.

Zunächst blätterte ich ein bisschen im Glarean-Magazin, dessen Herausgeber Walter Eigenmann vor ein paar Tagen per E-Mail Beiträge angefragt hatte, und stieß dort auf den hochbrisant klingenden Text Auf dem Weg zum guten Gedicht, in dem verschiedene Empfehlungen zum richtigen Reimen und – für die weniger Begabten – auch zum richtigen freien Dichten abgegeben werden. So steht da zum Beispiel ebenso gegen Regelwidrigkeit warnend wie klipp und klar, "Viele heutige Dichter versuchen alle Regeln des Dichtens dadurch zu umgehen, dass sie frei dichten." Es ist schon ein schweres Vergehen mit der regelwidrigen Dichterei!

Geschrieben wurde der Artikel von einer Vera Simon, über die am Ende des Artikels zu lesen war:

Veröffentlichung verschiedener Lyrik- und Geschenkbuch-Bestseller

Kaum zu fassen! Also nichts wie hin zum ebenfalls hinterlegten Link zur Homepage der Autorin. Dort finden sich etliche Leseproben. Auf der Seite Die Autorin ist unter anderem zu lesen:


... mein erstes Geschenkbuch ("Was ich an dir mag") wurde ein voller Erfolg und so bekam ich einen Auftrag nach dem anderen. Mein Bestseller "Ich liebe dich noch immer" hat längst die 150.000er Auflage hinter sich ...

Es gibt also doch noch Hoffnung für uns Dichter. Wir müssen uns halt endlich an die richtigen Regeln halten...

Die Gedichtbände von Vera Simon sind im Buchhandel erhältlich, siehe z.B. Amazon.

19.7.07

Snail survival stratagem

The snail
with its stalked eye
spied a boot
which was walking by.

“Oh no,” he thought (or she),
“this big loud thing
is bound to bring
death or misery!

Down with my eyes!
What I can’t see
will never do
any harm to me.”

Narrow escape
and lesson learned:
If you close your eyes
you won’t get burned!

– Felix Morgenstern (© 2007)

Product liability disclaimer
Successful application cannot always be guaranteed.

18.7.07

Ringelnatz on silence

Silence

There are some people who bow
To those given to extended silence
With a serious brow.

And then there are those who resent
Contemporaries with a silent bent.

All in all, noone should confuse
Silence with a statement that is of much use.

Johannes Beilharz

An attempted English paraphrase of the following poem by Joachim Ringelnatz (1883-1934):

Schweigen

Manche Leute verneigen
Sich gerne vor Leuten, die ernsten Gesichts
Langdauernd schweigen.

Manche Leute neigen
Dazu, zu grollen, wenn andere schweigen.
Schonet das Schweigen! Es sagt doch nichts.

17.7.07

Etwas von Richard Brautigan

Sitkomma und Creeleykomma

Es ist Frühling und die Nonne,
wie ein schwarzer Frosch,
baut ihre Dachpappenhütte
unten am See.
Wie schön sie ist
(und aussieht), umgeben
von ihren Dachpapperollen.
Sie kennen ihren Namen,
sie sprechen ihn aus.

Richard Brautigan (Sit Comma and Creeley Comma aus The Pill Versus the Springhill Mine Disaster, 1968, übertragen von Johannes Beilharz)

Über den Autor
Richard Brautigan (1935-1984) war ein amerikanischer Autor, der in seinem Heimatland zunächst mit Gedichten (!) und dann mit Romanen wie Trout Fishing in America und In Watermelon Sugar Kultstatus erlangte. Mit einer Mischung aus Witz, Skurrilem und Antikultur traf er eine Zeitlang den Atem der Zeit und eine breite "alternative" Leserschaft. In der Literaturlandschaft dürfte er eine der wenigen Ausnahmeerscheinungen sein, die mit Gedichtbänden hohe Auflagen erreichten.

Link
Kritischer Dosenöffner und weitere Gedichte von Richard Brautigan in deutscher Übersetzung

16.7.07

Robert Frost: The Road Not Taken / Der andere Weg

The Road Not Taken

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveller, long I stood
And looked down one as far as l could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I -
I took the one less travelled by,
And that has made all the difference.

– Robert Frost

Der andere Weg

Ein Weg trennte sich im herbstlichen Wald
In zwei, doch ich war leider allein.
Als zaudernder Wand'rer sah ich kalt
Dem einen nach bis dort, wo er bald
Sich krümmte ins Gehölz hinein;

Dann sah ich den And'ren, genauso fein,
Und hatte vielleicht das bessere Ziel,
Da sein Gras wollte begangen sein;
Obgleich, und das galt für mich allein,
Entweiht hätt' ich beide ebensoviel.

Beide an jenem Morgen gleich lagen
Ohne Spuren, von Blättern belegt.
Oh, ich schenkte den Ersten späteren Tagen!
Weg führt zu Weg, so wollt' ich's wagen,
Auch wenn's mich hierher nie wieder verschlägt.

Ich werde ergriffen Dir davon singen
In fernen Jahrzehnten als mein Lied:
Am Scheideweg nach kurzem Ringen,
Nahm ich den Stilleren unter die Schwingen,
Und das war der große Unterschied.

– Übersetzung von Peter Morisse (2001)

Morgenstern zoology

The wingambat

The wingambat haunteth
through weerowarowood,
the ruby fingoor taunteth,
and cruelly laughs the drood.

Christian Morgenstern (1871-1914), translated by Johannes Beilharz (*1956)

Note
This is a translation of Morgenstern's "Der Flügelflagel" (see preceding post).

Morgensternsches Getier

Der Flügelflagel

Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert
und grausig gutzt der Golz.

– Christian Morgenstern (1871-1914)

Englische Übertragung siehe Morgenstern zoology.

3.7.07

Liebesbrief von Maria / du der schone und sexuelle Mann

Vorgestern erreichte mich über das Wunder elektronischer Post ein Meisterwerk der Liebesbriefkunst, das ich der Öffentlichkeit nicht vorenthalten möchte. Wie ich leider vermute, hat meine Maria (zu erreichen unter mmariam003@yahoo.com – allerdings kam die Mail von Roxie@nirvanaclub.com) diese mit einem Kuss endenden Ergüsse nicht nur an mich versandt, sondern gleich millionfach. Da bereits ein Massenpublikum angesprochen wurde, dürfte die Veröffentlichung an dieser Stelle wohl kaum als Bruch einer Privatsphäre gelten können. Abschließend möchte ich noch betonen, dass ich weder bei Singles.freenet.de noch Friendscout24 ein Profil habe.
Hallo!!! Ich bitte dich, sich uber meinen Brief nicht zu verwundern. Ich sah dein Profil auf "Singles.freenet.de" oder auf "Friendscout24". Und ich wollte dir den Brief schreiben. Du der schone und sexuelle Mann. Ich will dich besser und naher sehr erfahren. Ich habe solches Gefuhl dass du ein Mann meines Traumes sein darfst. Aller ist in dieser Welt moglich. Du bist einverstanden? Ich glaube dass wir unsere Bekanntschaft beginnen werden.
Ich will dir uber mich erzahlen. Ich das einfache Russische die Frau. Mir 30 Jahre. Meinen Geburtstag den 11.01.1977 Ich lebe in Stadt Sankt Petersburg. Es ist eine zweite Stadt in Russland. Ich bin uberzeugt dass du meine Stadt weit. Ich lebe in einer Wohnung zusammen mit der Mutti und der Vater. Meine Mutti auf der staatlichen Rente. Mein Vater arbeitet im Eisenbahnbau. Es ist ein guter und friedlicher Beruf. Ich die einzige Tochter bei den Eltern. Ich habe den Bruder oder die Schwester nicht. Aber ich habe die Cousine und des Cousins. Ich arbeite in die Transportgesellschaft. Ich plane die Bewegung des Transportes und die Beforderung der grossen Ladungen nach ganzem Russland. Mir gefallt meine Arbeit. Aber leider bei mir das kleine Gehalt. Aber das Geld ist haupt-fur mich nicht. Fur mich das
Wesentliche die Liebe und das Gluck. Ich will aufrichtig mit dir in seinen Briefen sein. Ich habe die Geheimnisse vor dir nicht. Ich sage dir dass ich die vorliegende Liebe suche. Das vorliegende Gluck. Ich suche das Bundnis der Liebe und des Gluckes. Viele Manner und die Frau suchen seine Liebe und das Gluck. Es ist sehr viel Leute in dieser Welt einsam. Viele Frauen und der Mann suchen seine Liebe im Internet.
Viele finden das Gluck und die Liebe. Viele haben die Fehler und die Enttauschungen. Leider, ist viel es im Internet Betrug. Ich las daruber in der Zeitung. Es ist traurig. Ich werde aufrichtig mit dir und ich bitte dich, ehrlich auch zu sein. Die Ehrlichkeit und das Vertrauen sind fur die Liebe sehr wichtig. Es ist fur mich und fur dich wichtig. Keine Spiele. Nur die ernsten Beziehungen. Ich glaube dass die Liebe am meisten wesentlich in der Welt ist.

Warum suche ich seinen Mann in Deutschland? Wahrscheinlich willst du daruber fragen. Fur die Liebe und das Gluck existiert der Hindernisse bei der Entfernung nicht. Meine Freundin beratete mir, nach dem Mann in Deutschland zu suchen. Wir sind von der Kindheit befreundet. Wir lernten in einer Schule. Unsere Eltern waren von den Familien befreundet. Meine Freundin lebt in Deutschland in diesen Moment. Die Stadt Baden-baden. Vor einigen Jahren konnte sie nicht nachdenken was in Deutschland zu leben wird. Aber jetzt es so. Sie ist zum normalen Leben zuruckgekehrt. Sie hat seine Liebe im Internet gefunden. Sie hat den deutschen Mann gefunden. Sie ist in Deutschland zu seinem Brautigam abgereist. Sie hat den deutschen Mann verheiratet. Sie sehr glucklich jetzt. Sie haben seine Firma. Das grosse Geld und das Business. Ich bin dass meine beste Freundin glucklich in diesen Moment sehr sehr froh. Sie hat mir angeboten, nach seiner Liebe im Internet zu suchen. In Deutschland. Ich glaube dass ich seinen Mann finden kann. Ich werde die Probleme fur das Leben in Deutschland nicht haben. Aber das Geld bin fur mich nicht wichtig. Ich weib dass das Wesentliche in das Leben die Liebe und der geliebte Mensch. Ich werde seinen Mann den glucklichsten Menschen in der Welt machen. Ich kann in Deutschland zu jeder Zeit ankommen. Ich habe das Visum. Der Mann meiner Freundin half, mein Visum zu machen.

Ich suche der gute und gute Mann. Der mich liebgewinnen kann. Und ich werde diesen Mann liebgewinnen. Moglich es du? Ich werde seinen Mann glucklichst in der Welt machen. Ich glaube in die Liebe auf ganzes Leben. Ich bin uberzeugt dass ich seines Gluck und die Liebe finden werde. Nach welcher Frau suchst du? Welcher dein Traum? Jetzt ich vollkommen einsam. Ich habe etwas Freundinen. Aber ich habe den nahen Menschen nicht. Ich habe geliebt den Mann nicht. Ich versuchte, nach dem Mann in seinem Land zu suchen. Aber alle Manner wollen nur die Unterhaltung. Die Manner wollen nicht die ernsten Beziehungen haben. Ich hoffe mich dass du uber mich mehr erfuhrst. Ich werde uber mich mehr in jedem Brief erzahlen. Ich hoffe mich dass du uber dich mehr auch erzahlen wirst. Mir wird es sehr interessant sein, uber dich mehr zu erfahren. Ich will dich mehr nahe erfahren. Mir ist es sehr interessant. Ich werde deinen Brief warten. Dein Brief wird mich glucklich machen. Versprich, zu antworten! Ich werde deinen Brief warten. Ich bin obligatorisch werde antworten. Ich werde dir das Foto schicken und ich werde uber mich mehr erzahlen.

Meinen personlich e-mail: mmariam003@yahoo.com

Kuss
Deine Maria
Werde ich Maria, die meinen Brief wartet, glucklich machen? Wohl eher nein.
Aber vielleicht fühlt sich ja jemand anders bemüßigt, Marias Flehen zu erhören...

1.7.07

Can-Spam Act Compliant Spammers


Among the lovely e-mails that fluttered into my mailbox today was this one from one robbie titled "Quality loans for americans":
Hello, Your refinance application has been accepted.
We are ready to give you a loan.
There is no obligation and this is a FREE quote
(o)Debt Consolidation.
(o)Refinancing.
(o)Second Mortgage.
(o)Equity Line of Credit.
(o)First Purchase.
Visit here for more information Expect to be contacted within 24 Hours.
http://flamizxmhingo.com
As usual, I was surprised to hear that my application had been accepted even though I had never submitted any. Well, that may be attributed to overzealous salesmanship. (These people always pretend that you've already guarded swine with them.)

Out of curiosity I visited the site referenced to find out why exactly some guys are so generously willing to lend me money based on a non-existent application.

There's no conclusive answer. These people are simply too good!

Best of all: They are fully compliant with the Can-Spam Act 0f 2003!

Other graphics prove their trustworthiness beyond the shadow of a doubt:



The only thing that's missing: an actual address.

If they had one, some lawyers and the police might come knocking ... for a loan or whatever.

16.6.07

Muss man sowas haben?

Auch mit Der fliehende Berg (2006) beweise Ransmayr ein "in der deutschsprachigen Literatur unvergleichbares ästhetisches Formbewusstsein", ...
Headline zu einem Zeit-Artikel vom 15. Juni 2007 zum Thema Literatur: Böll-Preis für Ransmayr.

Unvergleichbares ästhetisches Formbewusstsein* – Wow! Liest sich krass thrillerartig! Muss ich doch gleich zum Regal rennen und meinen bisher einzigen Ransmayr entstauben. Und dann nichts wie in den Buchladen. Ja, Der fliehende Berg soll es sein. Diese fliehenden Berge darf man sich nicht entgehen lassen. Wenn sich schon irgendwelche Literarwissenschaftler derartig einzigartige und weltbewegende Alleinstellungsmerkmale aus den Fingern oder sonstwas saugen!

*Von anderen Literaturen – zum Beispiel der kirgisischen, walisischen, wallachischen, kymrischen und uigurischen – ist mir das selbstverständlich altbekannt ... und sowas von aufregend.

15.6.07

Randi's heart-rending plea

Randi wrote today! Do I know Randi? I don't think so. But she's taking a particular interest in me, and she's a nice pretty girl. From Russia no less! Oh joy, oh how I'm flattered!

Her e-mail address: fsfiuqafchv@email.ru

Her message:
Do not ignore me please,
I found your email somewhere and now decided to write you.
Let me know if you do not mind. If you want I can send you some pictures of me.
I am a nice pretty girl. Don't reply to this email.
Email me direclty at drandi034@bestvisiongroup.info

12.6.07

Rilke oder die Idylle der undeutlichen Erkenntnis


Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz

Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,
an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,
darin sich flüchtend die Gefühle fangen.

Du hast dich so unendlich groß begonnen
an jenem Tage, da du uns begannst, -
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
daß du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.

Laß deine Hand am Hang der Himmel ruhn
und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.

– Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Nach Kafka – kühl und hart – kommt wieder mal Rilke, sanft und weich. In dieses Gedicht kann man hineingreifen wie in eine wohlig zergehende Knetmasse. Zieht man die Finger wieder heraus, stellt man fest, dass man nichts in der Hand hat außer einem verhallten Wohlklang von Sonnen und Madonnen und auf der Haut noch das Nachgefühl von etwas unendlich Schwummrigem.

10.6.07

Kafka / Kühl und hart


Ein Gedicht von Franz Kafka (1883-1924) – der ja weniger für Lyrik bekannt ist –, das ihn ohne Zweifel in das Umfeld des Expressionismus stellt.

Kühl und hart

Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.

In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.

Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.

Wolken, die über grauen Himmel ziehn
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.

(Aus einem Brief Kafkas vom 9. November 1903, in dem er als Zwanzigjähriger seinem Schulfreund Oskar Pollak von "einigen Versen" schreibt, die er "in guten Stunden lesen" möge.)

29.5.07

Herr Heine schneuzt und spiegelt sich in der Elbe

Dass auch große Dichter der Vergangenheit nichts von politischer Korrektheit wussten (und vor blöden und kläglichen Pauschalurteilen nicht zurückschreckten), demonstriert dieser Schneuzer von Heinrich Heine:

Himmel grau und wochentäglich!
Auch die Stadt ist noch dieselbe!
Und noch immer blöd und kläglich
Spiegelt sie sich in der Elbe.

Lange Nasen, noch langweilig
Werden sie wie sonst geschneuzet,
Und das duckt sich noch scheinheilig,
Oder bläht sich, stolz gespreizet.

Schöner Süden! wie verehr ich
Deinen Himmel, deine Götter,
Seit ich diesen Menschenkehricht
Wiederseh, und dieses Wetter!

27.5.07

Zum Maiausklang ...

noch ein Haiku –
Mai. Blühender Holzapfel.
Atme nicht. Schnee
fällt beim geringsten Hauch.
– Viktar Licvinau

Ins Deutsche übersetzt von Johannes Beilharz.

Weißrussisches Original und englische Version.

26.5.07

Finally rich!!!

Like everybody else, I love that early morning mail that tells me I've won in a lottery I never knew about. It restores my faith in that benevolent superior being who enters all the good people in His/Her various lotteries!

Received from: mom2tripletts@cox.net

Purported to be from: UK LOTTERY GAME

Message:

You have therefore been approved to claim a total sum of £516,778.00 (Five hundred and Sixteen thousand,seven hundred and seventy eight pounds sterling only)
To file for your claim, please kindly provide the following informations and send it to our Fiduciary Agent who shall clear you as a winner.
(1)FULL NAMES (2)DATE OF BIRTH(3)SEX (4)MARITAL STATUS(5)CONTACT ADDRESS (6)PHONE NUMBERS(7)OCCUPATION
Mr Peter Taylor(CLAIMS AGENT)
Email:agentpetertaylor12@yahoo.co.uk
Upon receipt of the duly requested datas,he shall send to you the contact information of the paying Office.
Yours faithfully,
Mrs. Lucy Baines
ONLINE SUPERVISOR
Thanks so much, Agent Peter and Mrs. Baines! Also for your kind plea for two new urgently needed English plurals (informations and datas). That was long overdue. Not to mention thanks for the biblical therefore leading into this stroke of pure luck.

PS:
I wonder what would happen if you responded to agentpetertaylor12@yahoo.co.uk (every agent would be proud to have such an official-looking e-mail address).

I can only surmise that
  1. you might get a friendly e-mail asking you for a transfer of funds as up-front processing fees before you receive the millions you've won, or
  2. you might get tons more of lovely offers as your e-mail address has been verified as being functional and spam-worthy.

25.5.07

Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? vielleicht dein Lebensglück...
vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hasts gefunden,
nur für Sekunden...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück...
Vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er sieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.

– Kurt Tucholsky (1890-1935)

Nachbemerkung
Dem ist nichts hinzuzufügen. Bei ähnlichen Gedankengängen habe ich mich im Gewühl der Stadt und der Zeit selbst oft ertappt.
Wieder mal eine Gabe, die ich der täglichen Lyrikmail von Gregor Koall verdanke.

21.5.07

Hab Sonne im Büro

Die Sonne grellt zum Fenster hinein
und macht den armen Augen Pein

Mit Hilfe motorischer Lamellen
ist dieses Übel abzustellen

Wo zuvor Landschaft und Himmel zu sehen waren
Zeigen jetzt türkise Balken solides Gebahren

– Felix Morgenstern

Die große Sehnsucht und das große Wesen

Die große Sehnsucht

Wenn die große Sehnsucht wieder kommt,
Wird mein ganzes Wesen wieder weich.
Und ich möchte weinend niedersinken -
Und dann möcht ich wieder maßlos trinken.

– Paul Scheerbart (1863-1915)

~~~~~

Und eine Variante im Eigenbau:

Das große Wesen

Wenn das große Wesen wieder kommt,
Wird die Sehnsucht wieder groß.
Maßlos trinkend möcht ich niedersinken –
Um dann weinend wieder aufzustehn.

– Iself (© 2007)

14.5.07

A May Haiku

Май. Квітнеючая дзічка.
Затрымай дыханьне,
Інакш пасыплецца сьнег!

May. Blooming crab tree.
Do not breathe,
Snow will fall!

– Victar Licvinau

Written in Belarussian and translated into English by the author.

4.5.07

Rilke berührt nichts

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
Sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

– Rainer Maria Rilke (verfasst 1898)

Frivole Nachfrage
Und wie bitte, Herr Rilke, soll sich unsereins nun im Leben verhalten, ohne was zu berühren? Trauriges Fazit: Wir sind alle Mörder.

3.5.07

Der Investoralarm

Nun haben die Spammer auch den deutschen Aktienmarkt entdeckt und bewerben Penny Stocks in einer interessanten Mischung aus Denglisch und computergeneriertem oder robotergeerntetem englischem Blödsinn. Heute kam zum Beispiel folgende E-Mail:

Betreff:
When I stopped suffering from what my husband calls "mental diarrhea" and took responsibility for my life, everything changed for me.

Absender:
zou@sympatico.ca

Text:
DER INVESTORALARM! OJU.F BEGINNT HOCHGEHEN! DONNERSTAG 3. MAG STARTET DIE HAUSSE!

Company: ORAMED PHARMA
WKN : A0J3FG
ISIN : US68403P1049
Markt: Frankfurt

Kurzel : OJU.F
Letztr Kurs: 0.477
4 Tages Prognose: 2.15

ES IST EIN UNGLAUBLICHES PROFITPOTENTIAL! VERLIERE DIESE CHANCE NICHT!

But, as with all of your most difficult challenges in life, there is always another way to look at things. I was, in fact, still receiving your guesses how a seal escapes a Great White before I published the factual answer. with DAILY INSPIRATION. You are NOT "easy prey" at all, only if you want to be, and I know that you do not want to be any less than what you are. I think that I sometimes "play dead" with my life, and just for some reason, won't do the things I am supposed to be, easier just to do nothing. They quickly grow a new one. I may be getting the attacks still, but I am able to deal with them constructfully. But the truth is actually more inspiring. he followed the 2nd insight, timing. However, you said what it did was outside the box. Now, when I personally can acknowledge ithe attack to myself, I can listen to what the other person has to say, be quiet and wait for them to say why it is they are attacking me. About the skink and the snake story I too think like the rest of them ,that the skink would have escaped by leaving awat a part of its tail. Nature is a profound treasure trove. But the truth is actually more inspiring. Even more, you'll receive a 45-minute session if you guess it right and include your inspiring personal story along with it. He waited until the snake was posed to strike and quickly slipped into the shadows successfully disappearing amoungst the like colored landscape. By building up its blood pressure sufficiently to burst a blood vessel in the eye , certain species of lizard use this tactic to escape predators. He told me where to go and consult. I have learnt that understanding the way our minds process things is an important step towards living with a peaceful mind and now do not need to live in confusing thoughts any more. I think that I sometimes "play dead" with my life, and just for some reason, won't do the things I am supposed to be, easier just to do nothing. And because we have a shared background we could start laughing about something silly which is what she really needed to do. This is not so hard to do, in fact to enjoy the feeling of peace everyday in my life, I take care of those three things. All the ideas and stories have required that I question my paradigm or way of seeing life . I have Lyme disease, and am doing frequency treatments for it that definitely help. Surrendering its tail in exchange for life sounds too easy, although it is the most logical explanation. A new perspective is given to us. You'll receive a twenty-minute session with me if you're the first to correctly guess the answer. I don't know exactly who God is to other people but to me it is the collective energy force that gives us all life. Nature is a profound treasure trove. There's nowhere for you to hide. And his teeth are far too close. As Zig Ziglar once said, "People tell me that inspiration doesn't last long. Likewise, turning around to attack or leap over the situation has also not worked. Clue - it was a totally different tactic than the seal pulled on the Great White, where the 200-pound seal maneuvered itself behind the 2000-pound shark to hilariously "chase it". These specialized vertebrae can be voluntarily split by muscular contraction; sphincter muscles in the tail stump close off the caudal artery to prevent excessive bleeding. to listen for God instead of looking for his affirmation as to how I will deal with this problem. And his teeth are far too close. It's an old "lizard trick. Share one of your own such stories on how you solved a problem. I live far away from your heroes and have no imagination how they look in reality. and totally out-of-the-box. So often people speak of letting go of the negative things from our past in order to both heal and grow. I ve experienced the saving power of God thru His Wisdom. The Wealthy Soul: "You won't believe this story, but it's true. "The riptides, if they're around at all, only pull you out to shoulder-deep water, and I've only seen a shark inside the breakers once. " Lizards are known for their ability to lose their tail to a predator in order to save their lives. Recently, I read about a Vitamin C and salt therapy that's supposed to be very effective, and wondered if I should pursue it. " It must be the consciousness I've been in, writing this latest series about Great Whites. This was totally unexpected and shocked the snake into confusion , which then slithered away. just might fall flat on its face! Peace of mind, peace of heart, peace in anything and everything we do is unfortunately missing far too often.
Da ich die Chance auf horrende Spekulationsgewinne selbstverständlich nicht "verlieren" möchte, werde ich heute gleich nach Börsenbeginn so ungefähr eine Million Stück von dieser todsicheren Aktienrakete ordern. Wer würde schließlich einer so vertrauenserweckenden Informationsquelle nicht trauen! Außerdem Dank an den Spammer für die interessante Info zu Seelöwen, Schließmuskeln und zur Vitamin-C- und Salztherapie sowie die abschließenden Trostworte zum Herzensfrieden, der uns armen spamheimgesuchten Bürgern des Cyber-Zeitalters allzu oft abgeht.

29.4.07

About an industry-leading younger German poet from the old East

His verse

was markedly
distinguished

by the presence
of the absence

of punctuation.

– Leonard Blumfeld (© 2007)

27.4.07

Word 2007

Letzte Woche installierte ich Microsoft Office 2007, und zwar die für 141 Euro erworbene Home and Student-Version. Seit Office 97 hatte ich keine Updates mehr gekauft, weil ich in den neueren Versionen, mit denen ich auf den PCs anderer Leute arbeitete, nie etwas fand, was den Umstieg und die Kosten gelohnt hätte.

In letzter Zeit hatte ich jedoch, vor allem bei Word, öfters Probleme durch mangelnde Kompatibilität mit dem Format von Dateien aus neueren Versionen, so dass mir dieses Sonderangebot gerade recht kam: Endlich einmal ein Microsoft-Produkt zu einem Preis, der seinem eigentlichen Wert entsprach!

Mein erster Eindruck:
  • Geschwindigkeit: lahm, lahmer, am lahmsten. Wie gewöhnlich die beste Wintel-Reklame für den Kauf eines neuen Computers mit möglichst vielen Gigabytes Arbeitsspeicher, um diesen Pinguin zum Fliegen zu bringen.
  • Installation: Bevor Office selbst installiert wird, schreibt das Installationsprogramm etwa zehn Minuten lang auf der Festplatte rum und aktualisiert Teile des Betriebssystems (XP in diesem Falle), ohne dass mitgeteilt wird, was da genau abgeht. Für die Office-Installation geht dann ca. 1 GB drauf. Für eine komplette Office-Suite ist das ja für heutige Verhältnisse fast bescheiden zu nennen. Das ebenfalls im Lieferumfang enthaltene OneNotes habe ich nicht installiert.
    Ärgerlich fand ich, dass nach erfolgter Installation meine Einstellungen für Standard-Browser und Standard-E-Mail-Programm von Microsoft zurückgesetzt worden waren.
  • Nichts ist mehr am gewohnten Platz. Die Gründe hierfür sind unerfindlich und nicht nachvollziehbar. Vielleicht hat man in Redmond aber auch ganz einfach beschlossen, dass man den Massen mal endlich was Anderes bieten musste als kosmetische Nasenoperationen zu stolzen Preisen. Wäre ja verständlich. Verbesserungswürdiges gab es ja. Aber dann sowas?
  • Die Funktionalität ist unter einer Spielzeug-Oberfläche verschwunden. Angesichts der Grafiken und Symbole, mit denen diese Version überladen ist, waren ihre Vorgänger brachial schnörkellose Arbeitstiere. Frage: Wer will eigentlich diesen Bildchen-Schwachsinn?
    Die standardmäßig angebotenen Menüoptionen Start / Einfügen / Seitenlayout / Sendungen / Überprüfen / Ansicht decken nicht die gesamte Funktionalität ab, die das Menü der Vorgängerversionen anbot.
    Vor allem auf Sendungen und Verweise an so prominenter Stelle würde ich liebend verzichten. Dies sind Funktionen, die für übliche Textverarbeitungsaufgaben irrelevant sind. Andere, weitaus relevantere Funktionen sucht man in diesen Menüs vergebens.
    Von besonderer Logik bei der Zuordnung der Funktionen zu den Menüs kann ebenfalls nicht die Rede sein. Das nichtssagende Start z.B. enthält außer Zwischenablage und Suchen/Ersetzen Formatierungsfunktionen, die zum Thema Layout gehören.
  • Lichtblicke: Gott sei Dank hört die Version immer noch auf die von früher bekannten Tastenkürzel wie Strg-S, Strg-F, Strg-H usw., und die altbekannten Funktionstasten, wie z.B. F1, F3 und F12, funktionieren weiterhin.
  • Die Makrofunktion ist womöglich noch alltagsbenutzerfeindlicher geworden. Ohne Nachvollzug der abstrusen Verrenkungen von Programmiererhirnen ist hier für Otto Normalverbraucher kaum was zu machen.
  • Neue Designfunktionen von der Stange: die Microsoft-Gängelei erklettert bisher unerreicht schwindelige Höhen. Wie immer bei Microsoft-Produkten bestanden meine ersten Schritte darin, alle unerwünschten Automatismen auszuschalten und die für mich geeigneten Standardformate herzustellen. Was sich als ziemlich aufwändig erwies, weil "Anpassen" nicht mehr zu den Funktionen gehört, die einem über das Standardmenü angeboten werden und man bei den Änderungen an Formatvorlagen auch erst mal durchsteigen muss.
  • Neue Schriften: Als ob auf jedem PC mittlerweile nicht schon genug Fonts vor sich hin dümpelten, setzt Microsoft noch eins drauf und installiert zusätzliche Schriftarten mit so fantasievollen Namen wie Calibri und Candara. Diese gehören anscheinend zu einer Neuerfindung namens Cleartype, mit der ich mich noch nicht befasst habe. Wozu ich, ehrlich gesagt, auch keine besondere Lust habe. Am Bildschirm sieht das eher schwummriger als klarer aus.
  • Die Home and Student-Version erinnert daran, was für ein Geizkragen der ist, der sie gekauft hat. Auf der Titelleiste prangt ständig die liebliche Info "Microsoft Word nichtkommerzielle Verwendung".

Fazit: Vermeiden, falls möglich. Bin ich froh, dass ich WordPerfect für meine kreative Arbeit habe.

Hingerichtete Polizistin & Fremdgehwetter

Es ist eine Welt der Vielfalt,
in der wir leben.
Vor allem in der Bild,
denn hier wird gegeben

Seite an Seite
auf engstem Raum

was Ottos und Emmas
Herz begehrt,
während man genüsslich
das Frühstück verzehrt.

– Felix Morgenstern (© 2007)

Anmerkung
Die heutige Bild hatte als großen Schocker mit Riesenfoto einen Bericht über den gestrigen Mord an einer Polizistin in Heilbronn und gleich rechts daneben einen einspaltigen Kasten mit dem Titel “Fremdgehwetter”, zur Illustration begleitet von einem knappstens in grauem Feinripp verhüllten Frauenpo. Tja, und sowas schau ich mir beim Vorbeigehen an. Man muss ja schließlich orientiert sein in dieser Welt.

26.4.07

Arno Holz: In graues Grün

In graues Grün
verdämmern Riesenstämme

Von greisen Aesten
hängt
in langen Bärten Moos.

Irgendwo.. hämmernd.. ein Specht.

Kommt der Wolf? Wächst das Wunschkraut hier?

Wird auf ihrem weissen Zelter,
lächelnd,
auf mein klopfendes Herz zu,
die Prinzessin reiten?

Nichts.
Wie schwarze Urweltkröten,
regungslos,
hockt am Weg der Wachholder.

Zwischendurch
giftrot
leuchten Fliegenpilze.

– Arno Holz (1863-1929)

Dieses Gedicht stammt aus Phantasus (1898).

Über dieses Buch steht im rororo Literaturlexikon 20. Jahrhundert:

Der Phantasus, in dem H. sein neues lyrisches Prinzip in jahrzehntelangem Ringen zu bewähren versuchte, wurde sein Hauptwerk; es bezeugte die Ingeniosität und Virtuosität des Sprachkünstlers H., dessen stoffbezogener Naturalismus sich hier überraschend als Außenseite eines artistischen Enzyklopädismus erweist, wie er ähnlich für Erscheinungen des dichterischen Barock oder Manierismus charakteristisch war. (Engere Beziehungen zur Lyrik des Barock hat H. selbst früh durch seine neuschöpferischen Imitationen Dafnis erkennen lassen.) Erst in jüngerer Zeit wurde die bahnbrechende Leistung H.' unter so erweitertem Blickwinkel angemessen neubewertet und gewürdigt.

24.4.07

Buy China Fruit!!!

Another spam posting for today.

These unsolicited commercial messages probably came from loving Russian hands. (I read the other day that Russian spammers now mainly go for stock market tips and pirated software because those are most lucrative fields.)

Sender: laa@lcp2.net
Subject: As for manufacturing illegal liquour, many people were doing that at that time

Message:
CHFR Continues To Expand With 8 New Distributors! UP 9.6%!

China Fruits Corporation
Symbol: CHFR
Price: $0.34 UP 9.6%

CHFR, a Chinese orange supplier who hit the market by storm due to the
devastated US Orange Crops, has now hit the news again with 8 new
distributors for oranges and orange products. This company is HOT, read
the news and get on CHFR first thing Tuesday!
A second later, this strong buy recommendation was reinforced:

Sender: asunc@bredband.net
Subject: Although I appreciate and respect your perspective, I could not possibly disagree with you more.

Picture message (file name of pic is dishonestly.gif - ain't that something):

Come on, everybody: Get on the phone with your stock broker right now and order a bunch of CHFR. Let's make sure that our Russian benefactors earn some serious money.

Vacuous people party

Today's personalized horoscope said:
A big party you are attending tonight might seem tedious and boring, ISELF. If you're single, probably no one there really interests you, and the few possibilities you meet might seem too crazy. If you're involved, your current love partner might not be able to come to this party. Why stay if you're not having fun? Better a video alone than a room full of vacuous people!
Too bad I wasn't invited to that kind of party. In fact, I wasn't invited to any kind of party. But I'd really love to go and take my trusty & proven vacuity tester along (a neat, hand-held model).

And the few possibilities might be too crazy? Hmmm, I'd like to check them out.

Alas, I'll have to settle for the video and use the vacuity tester on it.

Web Noise / Internetrauschen

Neues Spam-Phänomen?

Seit einigen Tagen bekomme ich Spam, der als Reportage über Terroranschläge oder dgl. daherkommt und zum Schluss auf eine Webseite verweist. Heute kam schon von
info_@presse.mdwp.de
das folgende Prachtstück kreativer, wenn auch grammatikalisch und stilistisch nicht ganz hasenreiner Prosa:

Die Berliner U-Bahn Mitarbeiter fanden die Reste eines unbekannten Flugkoerpers.
Interessant findet man auch die Ermittlung von moeglichen Gruenden des Unwohlseins einiger U-Bahn Angestellten. Nach etlichen Inspektionen wurde ein Fremdkoerper gefunden. Wie Wissenschaftler behaupten, koennte der Koerper so gross wie ein Bus sein. Es wurde auch vermutet, er haette seltsame Strahlen aussenden koennen und das wegen rund um dem Rumpf gebildeter "Totzone".
Naeheres dazu unter http://geocities.com/MarkabElsie7932

Die Webseite gibt es nicht. Normalerweise ist ja absolut davon abzuraten, auf Links zu klicken, die in Spam enthalten sind, doch schien mir diese Adresse beim Gratis-Hoster Geocities unverdächtig genug, um es zu auszuprobieren.

Möglicherweise hat Geocities bereits auf Spam-Complaints zu dieser Seite reagiert und sie entfernt.

Insgesamt frage ich mich aber, was diese Art von Spam eigentlich für Ziele verfolgt. Denkbar wären:
  • Stören einfach um des Störens willen. Daraus scheinen manche Leute eine ungeheure, wenn auch nicht auf Anhieb nachvollziehbare Befriedigung zu schöpfen.
  • Aufmerksamkeitshascherei. Das ist wie bei einem kleinen Kind, das ignoriert wird und sich deshalb durch Danebenbenimm Aufmerksamkeit erzwingt. Allerdings ist die Aufmerksamkeit in diesem Falle ausschließlich anonym. Das ist jammerschade!
  • Gekicher des Spammers hinter vorgehaltener Hand über den Ärger bzw. die Fragezeichen, den bzw. die seine "Messages" auslösen. Das könnte man in etwa vergleichen mit dem Kunstsammler, der sich an einem gestohlenen Gemälde befriedigt, das er in seinem Keller aufhängt und das niemand sonst zu sehen bekommen darf.
  • Web Noise / Internetrauschen. Sowas scheint es tatsächlich zu geben. Allerdings dürfte es wohl, im Gegensatz zum Rauschen beim Funkempfang, nicht durch beiläufige Störungen entstehen. Da braucht es schon einen realen menschlichen Anstoß.
Mit Sicherheit lässt sich nur eines sagen: dieses Phänomen wird – wie aller Spam – durch gestörtes Verhalten ausgelöst.

20.4.07

Confessions of a poetry machine killer

I killed a poetry machine

Oh what shall we do,
that thing it is dead –
a poetry machine,
the best ever had.

It mixed black with blue,
it strung a mean word,
it bounced on a hue,
flipped many a bird.

You fed it a coin,
its wheels would spin,
it spat out a poem
that made you grin.

It got better at it,
more perfect each day,
that’s when I'd had it
and blew it away.

The best thing to do
now that it’s in peace
is to leave it alone,
and all at its ease.

– iself (© 2007)

Inspired by Keith O’Connor’s I killed my poetry machine.

19.4.07

Frauen sind einfach heißblütiger

Ja, Frauen sind einfach heißblütiger als Männer.
Woran man das merkt?
Na, in den Filmen rennen sie immer nahezu unbekleidet herum (siehe Lara Croft, aber auch Xena usw.), selbst im tiefsten Winter, in Lawinen, Schnee und Eiszeiten, während sich ihre männlichen Kollegen immer zutiefst bedeckt halten.

18.4.07

One kind of fascination

One kind of rare
fascination

is the one
of older

poetic ladies
gone bonkers

on younger
male poets –

a mixture
of guruism,

strange new
world discovery,

near suicidal
admiration

and late
eroticism

(Written by iself thinking of Friederike Mayröcker and a certain younger neighborhood poet)

17.4.07

Erfolg als Melker und Trittbrettfahrer

In einem Anzeigenblatt stand es zu lesen:
Spring auf fahrende Züge hinauf,
um finanziell und egozentrisch zu genesen.
So ist der kommerziellen Dinge Lauf:
Imitation zählt zu den Wunderwesen.

Auch zahlt unter Umständen sich aus,
am Euter bekannter Kühe zu melken;
es kommt zwar dünne Milch heraus
und Blumen, die sofort verwelken,
doch springt dabei ein Reibach raus,
und der duftet weit besser als Nelken.

– Felix Morgenstern (© 2007)

Blumfelds Weisheit Nr. 6

Gibt's zu Spreu und Weizen wirklich Neues beizutragen?
Wenn ja, versucht Blumfeld es zu sagen:
Der Weizen wird oft erst sichtbar, wenn die Zeit die Spreu weggeweht hat.

– Leonard Blumfeld

Mit den Armen nackt wie ihr Gewissen

So richtig passend zu den knallig-sonnigen Frühlingstagen dieser so gar nicht aprilligen Aprilmitte ein Gedicht von Max Dauthendey (1867-1918):

Mit den Armen nackt wie ihr Gewissen

Mit den Armen nackt, wie ihr Gewissen,
Liegt die Liebste in den Kissen, in den weißen.
Frühling hat die Fenster aufgerissen,
Sonne rollt den Leib den frühlingsheißen.
Mit der Lust von schönen wilden Tieren
Kommt die Sonne breit auf allen Vieren,
Sonne hat für meine Liebste Zeit;
Wie die Katzen liegen sie beisammen,
Wie die Katzen, deren Haare Funken flammen.

Aus: Lusamgärtlein. Frühlingslieder aus Franken (1909).

Wieder mal verdankt Gregor Koalls Lyrikmail.

16.4.07

I wanna hold your hand / the Beatles Indian style

In den Tag hinein mit Poetron

Genügende Lichter

Gähnen und sprechen?
Lichter staunen
Sie gähnen - Oh fleißige Nacht...
Ach dünner Racker...
Lichter vermissen - Arbeitstier ist fleißig
Und Genügen
Sieh nur immerdar hübsch

Gedicht Nummer 2021692

15.4.07

Etwas verständlicher als Christian

Der große Lalula

Am frühen Morgen schon
erzeugt er manchen Ton,
der Lalu Lalu La

Zu Mittag beißt er
in ein Schnitzel
und erzählt dazu
saudumme Witzel,
der Lalu Lalu La

Und abends erst!
Da säuft er dumm
vor seinem nagelneuen
Flachfernseher rum,
der große, der erhabne
Lalula

– Felix Morgenstern (© 2007)

Anmerkung
Felix M. gibt spärlich an, ein entfernter Verwandter von Christian Morgenstern zu sein. Manchmal, schreibt er, greift er, von seinem Urahn inspiriert, zur reimenden Feder.

14.4.07

Werbespruch für einen Samstagmorgen

Zum Tagesbeginn den Sloganizer mit Material beschickt, das dem heutemorgigen Stand der Dinge da draußen entspricht und sich eher für ein Haiku eignen würde (Morgen / blau / scheinen).

Ergebnis:
Morgen - denn blaue Liebe scheint selten.

13.4.07

Spam, so wohlschmeckend wie die Ewigkeit!

Der Sloganizer, gefüttert mit Spam, wohlschmeckend und tun

Ein Schwesterprodukt von Poetron (siehe letzter Artikel) ist der Sloganizer, der auf die Werbebranche spezialisiert ist.

Schlangen und Erdbeeren | Poetron dichtet

Was auf Englisch geht, funktioniert selbstverständlich auch auf Deutsch. Vermutlich sogar besser! Also machte ich mich auf die Suche nach einer deutschen Gedichtmaschine und wurde bei Poetron fündig. Es folgen drei Gedichtvarianten, die mit dem gleichen Grundvokabular generiert wurden (Schlange / Erdbeeren / träumen / knackig):

Das Träumen der Erdbeeren

Erdbeeren würden führen.
Sie führen knackig und wütend.
Sie schreien dezent und zart.

Schlange, knackig bist auch du!

Doch was schreien, was träumen?
Die Mäuse:
Schreiende Erdbeeren!
Knackig führen die Erdbeeren,
knackig und zart.

(Gedicht Nummer 2020805)

~~~~~

Erdbeeren

Knackig niemals jedoch genial.
Sie träumen,
Sie hüpfen -
Und zeichnen den Umfang.
Ja knackige Erdbeeren!
Und Umfänge
Zu genial und Schlange ist schuld!

Gedicht Nummer 2020803

(Dass die Schlange schuld ist, geht ja ganz klar aus der Bibel hervor. Da freut diese dichterische Bestätigung!)

~~~~~

Kumpel

Es träumt der knackige Kumpel.
Träumen oder schwimmen?
Eine Antwort!
So denken die Erdbeeren.
Oh dieser Kumpel?
Kumpel in Ewigkeit!
Kumpel und du!

Gedicht Nummer 2020804

Izzy cowrites poem with Sylvia Plath

Round Cup's Round Cup

“I need my mornings and all the tree ducks shady;
I moan my gooses and all is dig again.
(I stay I need you up inside my flat.)

The slave go clawing out in thick and awesome,
And undeveloped morning ducks in:
“I need my trees and all the goose ducks shady;

I moaned that you diged me into flat
And stay me light, needed me quite shady.
(I stay I need you up inside my flat.)

April ducks from the slave, morning's trees moan:
Exit goose and Leo's flat:
“I need my trees and all the goose ducks shady;

I diged you'd stay the way you said,
But I need old and I duck your name.
(I stay I need you up inside my flat.)

I should have treed a goose instead;
At least when flat moans they dig back again.
“I need my trees and all the goose ducks shady;

(I stay I need you up inside my flat.)

– Izzy & Sylvia Plath

Note
This is a generated madlib poem (go get one for yourself here). It doesn't sound bad – well, Izzy tuned it about 7 times until she was halfway satisfied with it – and has only a few rough grammatical edges.

11.4.07

Der gelbe Hund

Der gelbe Hund ist einsam
Er heult seine Einsamkeit hinaus in die dunstige Nacht
In der blasse Sterne fröstelnd herabblicken

Der gelbe Hund ist einsam
Er sieht da einen roten Stern
Zu dem würde er gern hinauffliegen

Der gelbe Hund ist niemandes Hund
Er wurde in die Welt geworfen
Als Teil eines Wurfes kleiner Straßenköter

Der gelbe Hund kriegt dann und wann
Etwas ab aus einer Mülltonne
Etwas Weggeworfenes

Der gelbe Hund kriegt dann und wann
Eins übergebraten
Das heult er seinem roten Stern vor

Seinem roten Stern
In der Einsamkeit der dunstigen Nacht
In der blasse Sterne fröstelnd herabblicken

– Ricardo Mendoza O. (Copyright 2001)

10.4.07

Nigeria comes to UK

Peter Fischer wants to give away millions

This lovely e-mail reached me today under the subject Hello Beloved Friend:
Dear Sir/Madam,

Please permit me to introduce myself to you. I am PETER FISCHER, An Accountant in London, United Kingdom. I got your contact from the British Council, and I have decided to contact you so that we can carry out this mutually beneficial business transaction.
My late Client (A National of your COUNTRY) until his death aboard an AERO FLIGHT 801 in 2001 deposited a total of USD$5.5M with THAMES BANK, UNITED KINGDOM.
He gave me the custody of the deposit documents, and as such entrusted me with the Legal Rights to transfer and execute this deposit to any Next of Kin after his demise.
I have since tried to locate any Next of Kin without success, hence I decided to contact you so that you can rightfully stand as the next of kin to inherit the deposited sum by virtue of the fact you share the same SURNAME as my late CLIENT.
I am writing you confidentialy because you will be able to claim this DEPOSIT because you have the same SURNAME as my Late CLIENT.
You will be entitled to 30% of the total sum should you be willing to assist me in this business transaction, 10% will be earmarked for taxation expense and I will get the remaining 60%.
I will prepare a formal agreement to guide us in this transaction for accountability purpose.
Please reply to my private email:
peter_fischer44@yahoo.co.uk

Yours truly, PETER FISCHER
42 Campshill Road, London
United Kingdom.
Tel: + 44 793 997 8490
Email: peter_fischer44@yahoo.co.uk
  • Good to know I'm known to the British Council.
  • Nigerian scam has come a long way. At least the grammar and spelling in this one are OK. Congrats, Peter, you seem to have gone to school.
  • Thanks for your special, individual confidence in me, Peter, which I probably only share with the millions of other SURNAMES you sent this mail to.
  • Sorry to hear about your LATE client. I'm sure he had the confidence in you that you doubtlessly deserve.
  • At this point, I cannot make use of your offer, Peter. But maybe lots of other potential and fully confidential business partners will send you e-mail and give you calls as I've decided to make this public.

9.4.07

Ein weiteres ABC-Gedicht

Als Boris
Connie den einen folgeschweren Gehversuch
im Jähzorn konterte,
lachte Mano närrisch.

Ohne Preis
quatschte Rehana
sanft tadelnd und vorwurfsvoll
weiter:
Xanthippe-Yuppy-Zeiserl.

(anonym eingegangen vom "Rhapsoden aus dem Waldachtal")

Ode an die Einsamkeit

Dies
ist eine Ode
an die
Einsamkeit

Sie hat
weder
eine Anode

noch, wie
fast vorauszusehen,
eine Kathode

– Leonard Blumfeld (Copyright 2007)

Anmerkung
Entstanden in Folge von Grübeln über Einsamkeit, ihren Schmerz und ihre Allgegenwart selbst in Gegenwart anderer. Außerdem Nutzung bzw. Missbrauch der dreiteiligen Form der Ode (Strophe, Antistrophe und Epode) ohne, so hoffe ich, Abgleiten ins oft allzu Öde der Ode.

Sollte man mir Plattheit oder Abgeschmacktheit vorwerfen wollen, verweise ich auf Pablo Neruda, der Oden auf so alltägliche Dinge wie Sellerie oder Zwiebeln schrieb.

Warum also nicht auch auf elektrisch-chemische Prozesse.

Aus dem Englischen übersetzt vom Autor.

A picassolage

One result from Linguasso - dynamic emotional design
"linguasso (for lingual and Picasso) creates totally random works of art, composed of text and based on varying emotions. It chooses an emotion, then displays associated words and dynamically created sentences in random fonts, sizes and places. It's quite addictive to watch over and over again, as each design seems to tell its own story."

Let the Exquisite Cadavulator do the poetry

There is a site that does dada poetry for you. You can either feed it an URL or type your own text in a box. Here's my box text (inspired by a movie with Louis de Funès, part of which I recently watched):
the young clown looked out of his caravan and noticed that the elephant who was manned by two people was gone the day began with sorrow even though out there was a humorous blue sky
Run through the cadavulator, this produced the following result:
who caravan young out and a that sky of was there blue with his clown by gone was was people two manned the the elephant though began day looked noticed even sorrow the humorous out
Something half-way grammatical and semantically discernible was turned into something ungrammatical and, well, definititely dada or blabla or something.

Now another trial. A terse collection of words in ungrammatical order based on observations of my immediate environment:
everything green white trip yellow book specialty you Theo's tell religions DataPerfect I
And cadavulator's output:
everything green Theo's tell religions trip DataPerfect white book I yellow specialty you
That didn't do anything for me, to tell you the truth. Give the machine one last chance:
love you I
Cadavulator's response:
you I love
Hey, not bad!

Go try cadavulator yourself.

7.4.07

zu einem feiertag

der morgen zieht herauf
in goldner pracht,
ein engelchor jauchzt auf,
es ist vollbracht
nach dunkler nacht,
die vögel kommen zuhauf

– erich friedländer (Copyright 2007)

Anmerkung
Dieses Gedicht eines mir unbekannten Autors erhielt ich per E-Mail mit Bitte um Veröffentlichung.
Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Barock-Abklatsch? Platte Reime? Oder ist es doch etwas Gelungenes? Und was hat es mit den unerwarteten Vögeln auf sich?

5.4.07

Platitudes revisited 1: poem by Ernst Jandl

no contradiction

life
becomes longer
and longer
i.e. shorter
and shorter
it doesn't stretch

(translated without much effort from the German original contained in ernst jandl, der gelbe hund, 1982)

Note
For those of you who have never heard of Ernst Jandl: he was an Austrian poet who lived from 1925-2000 and was quite well-known for his humorous, partially experimental poems and linguistic artistry. He also created some funny neologisms.

Some of his poems, as the shining example above, are barely enough to elicit a half-chuckle and can be safely said to be padding material.

Peter Hille: Karfreitag

Karfreitags Krone. Heldenkönig! Einsames Haupt.
Verstoßen. Erheben
Die feige Flucht verdammender Hände.
Ein suchender führender Quell.
Wenn ich erhöht sein werde, will ich alle zu mir ziehen.
Und die Welt, die schwere Welt, die leichtsinnschwere Welt,
Fast schon oben, reißt ab, eine Wunde reißt auf,
Der Seele, Wunde des Leibes, Wunde des Todes:
Vater verzeihe ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.
Zum schmerzlichen Hohn der Dornenkrone
Fallen kühlende Tropfen fühlender Größe.
Dem bedeutenden, einsamen Menschen an seinem Tage nahe sei,
So ist stiller Freitag, so ist Ostern
Trauerhelles Opferglück.
Abschiednehmendes Wiedersehn.

Anmerkung
Dieses Gedicht zum Karfreitag von Peter Hille (1854-1904) verdanke ich Gregor Koalls täglicher Lyrikmail. Von Hille habe ich bisher wenig gelesen; er war mir mehr in Erinnerung in Verbindung mit Else Lasker-Schüler.
Dieses Gedicht beeindruckte mich durch seine unpathetische Stärke.
"Dem bedeutenden, einsamen Menschen", eine schwächliche Zeile, die eher in einen Essay passt als in ein Gedicht, formuliert ganz eindeutig Hilles Sicht des Christus als normaler Mensch, auch wenn er ihn als bedeutend einschätzt.

4.4.07

Im dunklen Erdteil Afrika | Nonsens von Ringelnatz

Im dunklen Erdteil Afrika
Starb eine Ziehharmonika.
Sie wurde mit Musik begraben.
Am Grabe saßen zwanzig Raben.
Der Rabe Num'ro einundzwanzig
Fuhr mit dem Segelschiff nach Danzig
Und gründete dort etwas später
Ein Heim für kinderlose Väter.
Und die Moral von der Geschicht? –
Die weiss ich leider selber nicht.

– Joachim Ringelnatz

Fragen an die Leserschaft
a. Ist es heute politisch unkorrekt, Afrika als "dunklen" Erdteil zu bezeichnen?
b. Wie ist der Rabe Nr. 21 zu sehen? Als ein reformierter Rabenvater?

Il n'y a pas d'amour heureux

From this poem by Louis Aragon from 1946 two lines in a new translation by myself:
Mon bel amour mon cher amour ma déchirure
Je te porte dans moi comme un oiseau blessé

My beautiful love, my dear love, you who tear me apart,
I carry you in myself like a wounded bird.
For some reason, these two lines from the poem – which do so much to create the image of a love apparently full of pain and contradictory impulses – have stayed with me for many years, while the rest of the poem has not.

The ending, which sounds like a punch line from a French chanson, is actually on the flat side:
Il n'y a pas d'amour heureux
Mais c'est notre amour à tous les deux

There is no happy love,
But this is our love.
The very last line could become more prosy to reflect the French more directly, e.g. "But it is the love between the two of us" or "But it is the love the two of us share," but that doesn't do much, does it?

3.4.07

Unnoticed in an ocean

... a situation that spells trouble.

More so, I would guess, than up the proverbial shit creek without a paddle.*
And pray
what might I
be trying to say?
– Little J. from his rosebed with flowers

* There, it seems, you always have the option of going with the flow, for which you don't need a paddle. Unless Shit Creek has some dangerous white water passages in between the yellowish brown ones...

2.4.07

Delayed April Fool's Day Issue

Work of the Poet has some hilarious historical April Fool's articles, e.g.:

  • Taco Liberty Bell and Ford Lincoln Mercury Memorial
  • Richard Nixon runs for President again
  • Alabama changes Pi to biblical value

30.3.07

Schande oder Ehre oder was?

Heute gelesen (wo und über wen tut nichts zur Sache):
mit Preisen bedachter Literaturkritiker und bekennender Bob-Dylan-Fan
Tja, was sagt man dazu? Dass man ein nicht bekennender und nicht mit Preisen bedachter Irgendwer ist?

Zumindest aber soviel, dass mir bei manchen heute – auch gerade in der Literaturwelt – gängigen Redewendungen und Phrasen nicht nur die Galle, sondern auch der Mageninhalt hochsteigt.

28.3.07

Where to get dysfunction online

Have erectile dysfunction?
Look no where else

Cheapest online!
This lovely message reached me again today as so many times in the recent past, this time with
was closed while bathing
as the subject. For further elucidation, the following was offered (among other garbled text in English and something resembling Spanish):
Living wait refreshing baths.

To get dysfunction online, send mail to ser (husband@parview.com) or report http://leeta.hk/ to the best spam busting addresses.

Or did you write that yourself?

Was that a real poem

or did you write that yourself?

That came out of my head by itself,
with words that formed themselves,
a beginning by itself,
and an end in itself,
so yes, I wrote it myself
and it is real in itself
and in any other selves
exposed to it whether or not they themselves
realize the significance or insignificance of this or themselves.

– P. Lato

Frühling und Herbst zugleich

Der Winkel von Hardt

Hinunter sinket der Wald,
Und Knospen ähnlich, hängen
Einwärts die Blätter, denen
Blüht unten auf ein Grund,
Nicht gar unmündig.
Da nämlich ist Ulrich
Gegangen; oft sinnt, über den Fußtritt,
Ein groß Schicksal
Bereit, an übrigem Orte.

– Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Aus dem Zyklus Nachtgesänge (1803/1804)

Aus den Anmerkungen der Reclam-Ausgabe von 2000
1. Hardt (auch Hahrdt): Der Sage nach versteckte sich Herzog Ulrich von Württemberg 1529 auf der Flucht in einem Felswinkel bei Hardt (zwischen Nürtingen und Denkendorf), an einem Steilhang über der Aich. Der Felswinkel besteht aus zwei aneinandergelehnten Steinplatten. Ein Stein neben dem Felsen zeigt eine Vertiefung in Form eines Fußes, "Fußtritt" im Volksmund genannt.
2. hängen ... Blüht ... auf: Herbst und Frühling zugleich.
3. übrigem: im Sinne von wertlos, unbedeutend.

27.3.07

Ein Seufzer am frühen Nachmittag

Das Gebläse meines Computers surrt leise,
und mein Tinnitus klingt
wie das Rauschen eines alten Fernsehgeräts
auf dessen Bildschirm es schneit

– Leonard Blumfeld (Copyright 2007)

Übertragung einer englischen Version.

Ein Exemplar einer Gedichtform, die der Verfasser als sigh (Seufzer) bezeichnet und als deren Vorläufer er die pastorale Elegie ansieht.

26.3.07

Welches Bild ist vor meinem Auge erschienen?

(Raag Multani, Nachmittag)

Was
für
ein Ich,
welches Ich
Bin ist im Auge
gewachsen, das in meines sah?

Eine deutsche Version eines englischen Fibonacci-Gedichts von Leonard Blumfeld. Mittlerweile hat er in seinem Blog mehrere Fibonaccis veröffentlicht, die sich von indischen Ragas für verschiedene Tageszeiten inspirieren ließen.

(Copyright Leonard Blumfeld 2007)

25.3.07

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